Sie sehen so launig und lustig aus, so pfiffig und liebevoll, diese französischen Karikaturen, dass man für einen Moment lang vergessen möchte, wovon sie handeln. Und auch, wenn der eine oder andere Besucher der kommendem Ausstellung im EL-DE Haus vielleicht erst einmal zutiefst irritiert sein dürfte: Es bleibt ein kleines Wunder, wie viel Humor sich der Künstler Philibert Charrin im Angesicht des Schreckens zu bewahren wusste.
Schließlich ist alleine die Vorstellung, wie er unter schlimmen Umständen Zwangsarbeit im deutschen Nazi-Reich zu leisten, alles andere als zum Lachen. Aber genau das macht die Werke des Künstlers auch zu einem so bemerkenswerten Zeitzeugen-Dokument, sind sie doch nichts weniger als ein Fenster zur Seele eines Menschen, der zwar aus der unbarmherzigen Realität in seine Fantasie zu flüchten vermochte – dabei aber trotzdem die Realität dokumentierte und kommentierte. So entlarven die Zeichnungen – in denen übrigens meist seine eigens erfundene Figur „Fifi“ auftritt – nicht nur die Lächerlichkeit des ganzen Nazi-Regimes anhand deren Oberen und werfen eine schwarzhumorige Sicht auf den Alltag der Zwangsarbeiter, sie halten auch fest, was selten bis nie erwähnt wird: zum Beispiel kleine Versuche des Widerstandes seitens der Arbeiter, etwa durch Produktivitätsminderung oder Sabotage unter den Augen der Aufseher.
Kein Wunder also, dass das EL-DE Haus die Sammlung von Philibert Charrins Bildern vor Jahren nach Köln holte. Noch dazu, da diese bis zu dem Zeitpunkt seit einer unbeachteten Buchveröffentlichung kurz nach Kriegsende nicht mehr zu sehen waren – weil der Künstler sich selbst lange nicht mehr damit befasste und schlussendlich verstarb, bevor eine erneute Ausstellung in Graz möglich wurde. Aber für das EL-DE Haus als Gedenkstätte zum Nationalsozialismus ist die Ausstellung ohnehin wie geschaffen; denn nirgendwo anders als an einem solchen Ort könnten die Werke Charrins besser erreichen, wofür sie gemacht zu sein scheinen: nämlich die tiefste Unmenschlichkeit mit dem Humor eines freien Menschen zu beantworten.
Philibert und Fifi | 29.9. – 30.1.22 | EL-DE Haus | www.museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum/
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