Tolle Stimmen, eine mit kleinem Abstrich schöne Inszenierung und ein zufriedenes Publikum – so lautet die Kurzfassung des Premierenabends. In Guiseppe Verdis Alterswerk, das auf den Shakespeare’schen „Lustigen Weibern von Windsor“ beruht, versucht der dicke, genusssüchtige Sir John Falstaff, zwei Damen gleichzeitig zu verführen, um an das Geld ihrer Gatten ranzukommen. Der Plan fliegt auf und die Empörten beschließen Rache. Auch der eifersüchtige Ford will Falstaff an den Kragen. Dieser wird erst im Wäschekorb in die Themse gekippt, dann im nächtlichen Park von Windsor gepiesackt. Als er das Spiel durchschaut, gibt er seine Eselei zu, brüstet sich aber, dass die anderen nur durch ihn so gewitzt sein konnten. Schließlich erfolgt die Versöhnung: „Alles ist Spaß auf Erden, der Mensch als Narr geboren.“
Die Titelpartie wird von Lucio Gallo, den die Kölner bereits als Jago kennengelernt haben, hervorragend ausgeführt, zusätzlich bereichert durch seine komödiantische Leistung. Wie er den eitlen, selbstverliebten, hinter Wein, Weib und Geld herjagenden Fettwanst spielt, ist sehenswert. Seine Mitspieler stehen ihm in nichts nach. Der US-Amerikaner Nicholas Pallesen brilliert als Ford, der ebenfalls der Dumme ist, weil er Tochter Nanette unabsichtlich mit ihrem Geliebten Fenton verheiratet. Dieser wird vom armenischen Tenor Liparit Avetisyan gesungen, der bei seinem Deutschlanddebüt zu Recht heftig beklatscht wurde. Das Happy End ist den gewitzten Weibern von Windsor zu verdanken: Natalie Karl überzeugt als taffe Alice Ford, die Verehrer wie Ehemann einen Denkzettel erteilt; Dalia Schaechter gibt bravourös die intrigante Mrs. Quickly, die Falstaff in die Falle lockt; Emily Hindrichs, die seit einem Jahr der Oper Köln angehört, erfreut als selbstbewusste Nanette mit ihrem Sopran; Adriana Bastidas Gamboa spielt die ebenfalls betrogene Meg Page. Martin Koch hat als erfolgloser Dr. Cajus unser Mitleid. Ralf Rachbauer und Lucas Singer geben ihren Rollen als Falstaffs korrupte Diener eine je eigene Interpretation. Unterstützt werden die Sänger von einem von Will Humburg hervorragend geführten Gürzenich Orchester, das mit Temperament und Schmackes spielt.
Die Inszenierung von Dietrich W. Hilsdorf überzeugt mit einem stimmigen Gesamtkonzept und etlichen amüsanten Einfällen auf Nebenschauplätzen wie das Agieren der Dienstboten, das Mitwirken der Souffleuse, ein exponierter Lautenspieler oder die Einbeziehung der Tribüne. Ebenfalls originell ist der Vorhang, der vorderen (Gasthaus zum Hosenband) und hinteren Teil (Haus der Fords) der keilförmigen, erhöhten Bühne (Dieter Richter) trennt. Dass der nächtliche Windsor-Park samt Hernes Eiche im 3. Akt nicht einmal angedeutet wird, ist allerdings ein Wehmutstropfen in der ansonsten liebevoll durchdachten Inszenierung.
Interessant ist, dass momentan eine Falstaff-Flut herrscht: Alexander Pereira nahm sein Salzburger Stück nach Mailand mit, die Wiener Staatsoper präsentiert die Verdi-Oper, während das Theater an der Wien jene von Antonio Salieri aufführt. In Linz wird Falstaff ebenfalls gegeben, Christopher Waltz will ihn 2017 in Antwerpen inszenieren. Dazu Intendantin Dr. Birgit Meyer: „Es gibt immer Wellen. Manche Stücke werden jahrelang nicht gespielt und auf einmal zeigt es dann ein Haus nach dem anderen.“ Für sie ist „Falstaff“ jedenfalls eines der bedeutendsten Opernwerke, die es gibt: „Ich bin mit der Aufführung sehr zufrieden, sowohl musikalisch wie bildlich.“ Den Reaktionen am Premierenabend nach kann das Kölner Publikum dem nur zustimmen.
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