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Schockfrosten für die Familienplanung
Foto: Benni Klemann

Familienplanung on the Rocks

05. März 2015

Verheißt Social Freezing tatsächlich mehr Selbstbestimmung für die Frau? – THEMA 03/15 FRAUENMENSCHEN

Ist es die nächste Revolution in der Geschichte der weiblichen Selbstbestimmung? 50 Jahre nach Erfindung der Pille schenkt social freezing Frauen die Freiheit, über den Zeitpunkt ihrer Schwangerschaft selbst zu bestimmen. Die Methode, Eizellen bei 196 Grad Celsius unter Null einzufrieren verspricht, die körperliche Grenze einer Schwangerschaft weit ins Alter hinausschieben zu können.

Zielgruppe sind aber nicht Frauen allgemein, sondern Frauen, die Ausbildung/Studium, Beruf und Familie unter einen Hut kriegen müssen. Also jene Frauen, die gerne despektierlich als Karrierefrauen bezeichnet werden und denen Gesellschaft und Politik regelmäßig die Diagnose ausstellen, sie bekämen zu wenige Kinder im Gegensatz zu sozial schwachen Frauen.

Spätestens mit der Ankündigung von Facebook und Apple im vergangenen Oktober, die Kosten fürs Social Freezing den eigenen Mitarbeiterinnen als medizinische Dienstleistung erstatten zu wollen, ist offensichtlich, was man ahnte: Hier soll der von der Gesellschaft als Problem diagnostizierte Missstand „Kinderlosigkeit“ mit einer biologisch-technischen Problemlösungsstrategie beseitigt werden. Wer aber in dem Angebot der Tech-Giganten Facebook und Apple lediglich die Selbstbestimmung ihrer Mitarbeiterinnen erweitert sehen will, guckt falsch hin. Facebook und Apple sind kulturprägende Unternehmen, die in vielen Bereichen unsers Alltags unser Verhalten beeinflussen. Es stellt sich die Frage, wie viel Selbstbestimmung in Sachen Kinderkriegen bleibt, wenn sich Frauen das Aufschieben der eigenen Mutterschaft vom Arbeitgeber bezahlen lassen? Konzerne unterbreiten soziale Angebote, um für Mitarbeiter attraktiv zu sein. Doch es läge eine erschreckende Gutgläubigkeit vor, nähme man an, ein Unternehmen böte die Möglichkeit zum Social Freezing, ohne damit Einfluss auf die Entscheidung der Mitarbeiterin nehmen zu wollen, wann sie Nachwuchs zur Welt bringt.

Die Diskussion um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wurde einst vom Standpunkt der Frauen aus geführt. Gleiche Rechte, gleiche Chancen, war mal der gemeinsame Nenner der Frauen. Aber mit dem Fachkräftemangel werden auch immer mehr qualifizierte Frauen auf dem Arbeitsmarkt gebraucht. Darum lautet die Frage immer weniger: Was wollen Frauen? Und immer mehr: Was braucht die Wirtschaft? Es passt somit zu den Technikunternehmen, dass sie als Antwort auf die Frage der Reproduktion nicht sich selbst ändern, sondern eine neue Technik nutzen wollen, die die Natur des Menschen ändert.

Social Freezing lässt die Frage, warum ein Kind für eine Frau ein weit größeres Karriererisiko darstellt als für einen Mann, unbeantwortet. Der Mutterschutz allein ist es jedenfalls nicht. Es handelt sich eher um eine grundsätzliche Schieflage, wenn von Frauen erwartet wird, was von Männern nie erwartet wurde: Sich jeweils voll und ganz Beruf und Familie widmen zu sollen. Gleichzeitig müssen Frauen aber mehr Kraft aufbringen, um beruflich mit ihren männlichen Kollegen mithalten zu können, was sich in der Lohnlücke manifestiert – immer noch verdienen Frauen signifikant weniger als Männer. Warum also werden Frauen sowohl ausgebuht, wenn sie mit kleinen Kindern voll arbeiten, als auch wenn sie sich entscheiden, mit ihnen zuhause zu bleiben, während das eine für Männer selbstverständlich ist, das andere dagegen Anlass für überschwängliche Lobeshymnen? Auf diese Frage gibt Social Freezing keine Antwort. Schlimmer noch, es zementiert diesen Widerspruch weiter und lockt mit der Verheißung, den unvereinbaren Erwartungen doch gerecht werden zu können. Was gesellschaftlich ungelöst bleibt, wird mit Social Freezing ins Private abgeschoben und in Deutschland von Frauen aus eigener Tasche und mit dem Einsatz des eigenen Körpers bezahlt.

Ist social freezing also die zweite Revolution in der Familienplanung nach der Antibabypille? Mitnichten. Die Pille verlieh Frauen eine ungeahnte Freiheit. Der Kinderwunsch war erstmals plan- und aushandelbar, die Pille entriss Frauen ihrem biologischen Schicksal. Zwar brachte sie auch enorme medizinische Probleme mit sich, der Eingriff in den Körper ist bei der Entnahme und dem Einfrieren von Eizellen aber deutlich rabiater und er setzt Dritte voraus. Wiederholte Hormonstimulation, unter Umständen eine mehrmalige Entnahme von Eizellen unter Vollnarkose und eine durch künstliche Befruchtung (möglicherweise!) zu realisierende Schwangerschaft und Geburt stehen für eine beschleunigte Technisierung von Schwangerschaft. Die Entscheidung für „andere Umstände“ wird dem intimen Entscheidungsraum von Individuen genommen und in die Hände von Medizinern gelegt. Selbstbestimmung ist in diesem Kontext wohl eher eine Chimäre.

Aktiv im Thema:
www.akf.koeln
www.frauenrechte.de
www.werbrauchtfeminismus.de
www.competentia.nrw.de

Lesen Sie weitere Artikel zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema

Bernhard Krebs

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