In der Reihe „Grünes Kino“ zeigte das FilmhausKino Köln die eindringliche Umweltdoku „Müll im Garten Eden“. Mehr als sechs Jahre lang dokumentierte der preisgekrönte Regisseur Fatih Akin den Kampf des idyllischen Bergdorfes Çamburnu im Nordosten der Türkei gegen die mächtigen Institutionen: Seit Generationen leben die Dorfbewohner vom Teeanbau, von der Fischerei und im Einklang mit der Natur. Daher protestieren sie, als die Regierung beschließt, direkt oberhalb des Dorfes eine Mülldeponie zu bauen. Und doch wird Wald abgeholzt, Gruben werden gegraben, eine Kupfermiene, die seit fünf Jahren brach liegt, zur Mülldeponie umgebaut. Beim Bau passieren gravierende Fehler, Baustandards werden nicht eingehalten. Mit der ersten Müllladung kommt auch direkt der unerträgliche Gestank. Um ihn zu überdecken, sprühen die Verantwortlichen Parfüm. Eine Perversion, die wenig nützt. Es wimmelt weiter von Fliegen; Vogelschwärme und streunende Hunden belagern das Dorf. Pechschwarzes Abwasser wird ins Meer geleitet, das Grundwasser verseucht. Doch Çamburnu will die Nasen nicht zuhalten, die Augen nicht zudrücken. Die aufgebrachte Bevölkerung filmt das Umweltverbrechen, nutzt jede Gelegenheit, die Verantwortlichen zu konfrontieren.
Fatih Akins Doku trifft die richtige Mischung. Es ist kein schwarzseherischer, aber durchaus ein anklagender Film. Am Ende bleibt ein bitterer Beigeschmack, weil deutlich wird, wie wenig sich mit Worten und Fragen bewegen lässt. Auch die Worte der Teebäuerin Nezihan Haşlaman, die 2011 während der Dreharbeiten an einem Herzinfarkt starb, verstärken diesen Eindruck, wenn sie in einem erstaunlich milden und friedlichen Ton spricht: „Wäre ich jung, hätte ich die Deponie abgefackelt“.
Am 25. Januar mischt sich auch die Bundesvorsitzende der Grünen Claudia Roth unter die Zuschauer im Kinosaal. Sie war während der Dreharbeiten vor Ort und hat das Projekt eine Zeit lang mit begleitet. Mit dem grünen Landtagsabgeordneten Arndt Klocke spricht sie anschließend über die Entstehung des Filmes. Sie schildert, wie es Fatih Akin und ihr gelungen ist, massiven Druck auszuüben, so dass die für den Bau der Deponie bereits zugesagten Gelder aus Deutschland zurückgezogen wurden. „Dieser Film“, entrüstet sich Claudia Roth, „zeigt ein Beispiel für vermeintliches Fortschrittsdenken und für scheinbare Modernität, die viel zerstört.“.
Arndt Klocke befragt Claudia Roth auch über die Organisation des Protestes, der zwar hartnäckig, aber gleichzeitig unbeholfen und bemitleidenswert wirkte. „Grüne, ökologische Parteien“, so schildert Claudia Roth, „haben es in der Türkei extrem schwer. Der Kampf für die Umwelt hat noch zu wenig Bewusstsein“. Im Publikum sitzt auch Berivan Aymaz von den Grünen Köln. Auch sie zeigt sich über die traditionalistisch-konservative Umweltpolitik der Türkei entsetzt: Es sei eine brutale Politik, die Umweltaktivisten einer terroristischen Organisation gleichsetze. Gegenwärtig seien 700 Studenten und Studentinnen wegen der Teilnahme an Demonstrationen einsperrt. Und man versuche, so Aymaz, jede Umweltbewegung im Keim zu ersticken.
An dem vergangenen Freitagabend drehte sich aber bei der Publikumsdiskussion alles um die Frage „Was können wir machen?“. So verabschiedete sich auch Claudia Roth mit den Worten: „Ich hoffe sehr, dass eine Öffentlichkeit über den Film entsteht und sich viel mehr Menschen fragen: Wie gehen wir eigentlich mit der Umwelt um?“. Dabei, machte Roth auch deutlich, sollte man andere nicht mit erhobenem Finger belehren. Auch in Deutschland gebe es in der Umweltpolitik noch viel zu tun. Und letztendlich sei ebendies auch das Ziel Fatih Akins gewesen: eine Doku zu drehen, die etwas bewegen kann.
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