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Napoleon

Napoleon
Großbritannien 2023, Laufzeit: 158 Min., FSK 12
Regie: Ridley Scott
Darsteller: Joaquin Phoenix, Vanessa Kirby, Tahar Rahim
>> www.sonypictures.de/filme/napoleon

Umwerfendes Charakter- und Schlachtendrama

Donnerschlag
„Napoleon“
von Ridley Scott

Frankreich 1789: Revolution! Das Volk verspottet die verurteilten Royalen jubelnd auf ihrem Weg zum Schafott – Napoleon Bonaparte (Joaquin Phoenix) arbeitet derweil auf seine Beförderung hin. In der von den Engländern besetzten Hafenstadt Toulon setzt er eine erste Marke als taktisch versierter Stratege. Napoleon wird Brigadegeneral. Schon bald an seiner Seite: seine große Liebe Joséphine de Beauharnais (Vanessa Kirby), die dem kleinen Mann mit großem Ego auf Augenhöhe begegnet. Während die von ihm herbeigesehnte Vaterschaft auf sich warten lässt, absolviert der berühmte Korse seine Feldzüge. Von Toulon bis Waterloo.

Ridley Scott (85, „Alien“, „Blade Runner“) haut noch einmal richtig einen raus. Ein opulent inszenierter, temporeicher und rhythmisch geschliffener audiovisueller Rausch, jedes Bild phantastisch komponiert, mit mitreißenden Schlachtszenen, mit Herz und mit Wucht, mit Gewicht und Humor. Ein Rausch, den Komponist Martin Phipps inspiriert musikalisch vorantreibt, sei es mit gut gelauntem Menuett oder mit donnerndem Bläserbombast. Joaquin Phoenix („The Master“, „Joker“) erweckt seine historische Figur nuancenreich und würdevoll zum Leben. Diesen unfassbaren Machtjunkie, der, ohne mit der Wimper zu zucken, mit Kanonen auf Zivilisten oder Pyramiden schießen lässt, dieses militärische Genie, diesen Kindskopf, Rüpel, Liebhaber. Diesen Konsul, König, Kaiser. Diesen armseligen Clown.

„Napoleon“ ist Ridley Scotts bester Film seit „Robin Hood“ (2010). Abgesehen von seinen zwei „Alien“-Prequels „Prometheus“ und „Covenant“, die zumindest Inspiriertes erzählten und Garstiges zeigten, lieferte er zuletzt überwiegend groß produzierte, aber narrativ halbgare Dramen: „House of Gucci“, „The Last Duel“, „Alles Geld der Welt, „Der Marsianer“, „Exodus“ oder „The Counselor“: Gute Ideen, tolle Momente, prima Darsteller*innen – aber keine wirklich großen, keine relevanten, bleibenden Werke. Jetzt aber die Offenbarung: „Napoleon“ ist Scotts würdiges Alterswerk. „Napoleon“ hat Relevanz. Ein Meisterwerk. Endlich erzählt Ridley Scott wieder eine Geschichte, die durchweg fesselt, und von einem ambivalenten Charakter, der mitreißt, in einer audiovisuellen Komposition, die die Leinwand sprengt.

Für das Kino bleiben Scott dafür „nur“ 158 Minuten. Das geht auf Kosten mancher Randfiguren, wie Napoleons Mutter oder seinem Bruder, die präsent sind, aber blass bleiben. Auch springt die Kinofassung recht hurtig, wenn auch nicht gehetzt durch ereignisreiche Jahre. Allem voran bleibt Napoleons Wirken, innenpolitisch im Hinblick auf Gesetzgebung (Code Civil) und seine Initiativen im Staatswesen, aber auch sein außenpolitisches Vorgehen jenseits der Schlacht in guten Teilen auf der Strecke. Natürlich bemisst sich Napoleons Hinterlassenschaft nicht bloß auf drei Millionen tote französische Soldaten, wie es die finale Texttafel im Abspann zusammenaddiert. Zugleich weiß Ridley Scott, was er hier (nicht) zeigen will und erfasst in seinem Schlachtendrama meisterlich Napoleons Ego. Das Ego eines begnadeten, größenwahnsinnigen Genies, das über Leichen geht.

Man mag der Vertiefung halber den angekündigten, 250-minütigen (!) „Director’s Cut“ herbeisehnen. Doch schon die Kinofassung ist sich genug. Sie ist ein Fest. Und sie ist unbedingt empfehlenswert – weil „Napoleon“, diese Streaming-Produktion, für die große Leinwand gemacht ist, und für sonst nichts. Ein Donnerschlag. Ab ins Kino!

(Hartmut Ernst)

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