Vielleicht befinden wir uns historisch an einem ähnlichen Punkt wie damals bei der Zusammenarbeit von Gustav Mahler und dem Gürzenich-Orchester, so mutmaßte auch Generalmusikdirektor François-Xavier Roth angesichts der neu erschienenen CD mit Mahlers 3. Sinfonie, einem der Uraufführungsschätze des Gürzenich-Orchesters. „Der Sommer marschiert ein“, so kommentierte der 1902 vom Kölner Orchester begeisterte Mahler den Beginn seiner Sinfonie. Das „Ähnliche“ bezog Maestro Roth auf die bald vollendete Köln-Trilogie, einem Kompositionsauftrag an den Franzosen Philippe Manoury. Über dieses anstehende Highlight der Gegenwart und über den zum 100. Geburtstag in Köln gefeierten Jacques Offenbach verlor der GMD jetzt erhellende Worte.
choices: Herr Roth, wie entstand der erste Kontakt zu Philippe Manoury und zu seiner Musik?
Roth: Seine Musik habe ich das erste Mal beim Ensemble Intercontemporain in Amerika dirigiert. Bereits als Teenager und später als Student schwirrte sein Name durch unsere Kreise, weil er sehr aktiv im IRCAM (Zentrum für elektronische Musik in Paris) und in der Avantgarde-Szene in Paris war. Philippe Manoury war aber auch sehr interessiert an Orchestermusik. Mein Mentor Pierre Boulez hat mir damals eine Partitur von ihm gezeigt, die er in Chicago uraufgeführt hatte. Und es war für mich wie ein Schock, in dieser Partitur zu sehen, dass Manoury den ganzen Orchesterapparat tatsächlich noch einmal ganz neu erfinden konnte. Er hatte sich die Frage gestellt: Wie kann ein Orchester heute oder auch morgen klingen? Wir haben uns dann angefreundet, über einen gemeinsamen Freund, heute ist er wie ein Bruder für mich.
Drei Stücke haben wir schon erleben dürfen: Die Uraufführung von „Ring“, dann „In Situ“ 2017 in den Sartory-Sälen und das Flötenkonzert mit Emmanuel Pahud. Was hat „Ring“ bei Ihnen bewirkt?
Das war für mich aus vielerlei Gründen ein unglaubliches Erlebnis, denn das Publikum dieser Uraufführung konnte wirklich etwas ganz Neues entdecken. Wir wissen schon einiges über die Möglichkeiten, die Philharmonie als Raum zum Klingen zu bringen. Aber der „Ring“ entwickelt noch eine eigene Stufe. Die Musiker sind nicht nur ringförmig im Raum platziert, sondern die Abläufe sind sehr speziell organisiert, z.B. über die Klangmischung der Instrumente und über viele unerwartete Effekte.
Das Werk kommt gut an und findet den Weg ins Repertoire?
Ich bin stolz, dass ich dieses Stück mit vielen anderen Orchestern, z.B. dem Orchestre de Paris oder dem London Symphony aufführen kann. Auch das Stück mit Pahud wurde sofort nachgefragt in Brasilien und in Paris und Genf.
Was macht die Musik Manourys so interessant und so publikumswirksam?
Für Manoury lautet die Frage, wie sich das bereits gut klingende Orchester noch genauer auf die jeweilige Raumstruktur anpassen lässt. In welche Richtung kann sich ein Konzert entwickeln? Die Komponisten sollen diese Konzertform überdenken, vielleicht neu erfinden. Ein solcher Moment fand zum Beispiel im „Ring“ statt, wo die Dramaturgie des Stückes gleich zu Beginn die Form verschleiert: Wann beginnt das Stück, oder läuft es schon?
Das nächste Werk, „Lab. Oratorium“, verfolgt ein ganz anderes Konzept?
Das neue Stück, ein oratorisches Werk, fragt ganz aktuell: Wie leben wir zusammen? Es wird etwas zwischen Oratorium, Oper und Sinfoniekonzert.
Das klingt nach Musik und Politik. Was bewirkt die Zusammenarbeit mit ortsansässigen Chören?
Wir spielen ja zunächst in Köln, dann aber in Hamburg und Paris. Über den Chor aus den jeweiligen Städten öffnen wir uns für eine weitere Dimension. Das war eine ursprüngliche Idee des Projekts, für die sich Manoury direkt begeisterte.
Wird dies ein Grande Finale der Trilogie?
Allein die pure Größe und wie ambitioniert dieses Werk ist, das flößt Respekt ein. Dazu haben wir eines der besten Vokalensembles vom SWR eingebunden, die beste Elektronik vom IRCAM aus Paris, einen unglaublichen Regisseur mit Nicolas Stemann und sehr gute Solisten und natürlich das bombastische Gürzenich-Orchester. Da kommen 150 Künstler zusammen.
Köln feiert in diesem Jahr seinen berühmten Sohn Jacques Offenbach. Was ist bedeutet Offenbach den Franzosen?
Es ist gigantisch. Als ich Kind war, wirkten die Operetten von Offenbach immer ein bisschen kitschig, aber sie waren immer und überall im Repertoire. Danach kam eine neue Generation von Solisten, Dirigenten und Regisseuren, und Offenbach wurde ironisch, sarkastisch und musikalisch sehr interessant. Also: Offenbach ist ein französischer Held!
Fordern ihn jetzt die Kölner zurück?
Die Franzosen denken, er sei Franzose. Und die Kölner wissen nicht, dass er Kölner ist. Offenbach ist ein großer Teil unserer französischen Kultur. Viele kleine Compagnien haben sich auf die kleineren Werke Offenbachs spezialisiert, und die spielen das hervorragend.
Die Oper Köln steuert unter ihrer Leitung eine große Operette bei, „La Grande-Duchesse de Gérolstein“. Was lieben sie an diesem Werk?
Ich habe Felicita Lott als Gräfin in Paris erlebt, und seitdem wollte ich das Stück dirigieren. Auch der General Bumbum ist sehr lustig, aber die große Dame vornweg, die so provokant ist, ich liebe das.
„Lab. Oratorium“ von Philippe Manoury | 19.5. 11 Uhr, 20., 21.5. 20 Uhr | Kölner Philharmonie | Sing mit! Bewerbung: labchor.koeln@web.de (Proben ab 8.4.) | 0221 280 280 | www.guerzenich-orchester.de
„Großherzogin von Gerolstein“ | Premiere: So 9.6. 18 Uhr | Oper Köln | 0221 221 284 00
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