Drei Monate sind seit dem ersten globalen Klimastreik von „Fridays for Future“ (FFF) vergangen, bei dem rund um den Erdball in 90 Ländern insgesamt etwa 1,5 Millionen Schüler ihren Klassenräumen fernblieben, um für eine Kehrtwende in der Klimapolitik zu demonstrieren. In Köln etwa hatten sich 10.000 Schüler, Studenten und weitere Sympathisanten an der Demonstration durch die Innenstadt beteiligt. Am 24. Mai gab es erneut einen weltweiten Streiktag. In Köln sammelten sich die Demonstranten auf dem Roncalliplatz.
Die Stimmung an diesem Freitagmorgen um halb zehn ist noch ein wenig verhalten, denn die Demo beginnt verspätet. Viele stehen ein wenig unschlüssig in Grüppchen herum, während auf dem Lautsprecherwagen mit der Technik gekämpft wird. Doch als die Störung schließlich behoben ist und die 13-jährige Schauspielerin Maira Kellers vom Kölner FFF-Organisationsteam die Demonstranten über die Anlage begrüßt, heben sich die Plakate und die Aufmerksamkeit richtet sich auf die kleine improvisierte Bühne auf dem Wagen.
Hier hält die 17-jährige Jana Boltersdorf die erste Rede – und ihr ist die Wut über den Zustand der deutschen Klimapolitik deutlich anzuhören. Der Aufschrei sei zu recht groß gewesen, als der US-amerikanische Präsident Donald Trump 2017 den Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen verkündete. „Aber nicht nur Donald Trump, auch die deutsche Bundesregierung leugnet die Klimakrise – durch ihre Untätigkeit, durch das Abräumen der eigenen Klimaziele und durch den viel zu späten Kohleausstieg 2038 leugnet sie die radikale Dringlichkeit dieser Krise“, so Boltersdorf. Alle Vorhaben und Abkommen seien wirkungslos, solange Wirtschaftsinteressen vorn an gestellt würden.
Boltersdorf lässt sich weder von der Kritik an der FFF-Bewegung, noch vom öffentlichen Zuspruch beeindrucken: „Wir wollen nicht länger über die Schulpflicht diskutieren und wir brauchen auch kein Lob dafür, dass wir uns politisch engagieren – was wir wollen und brauchen ist konkretes Handeln in Sachen Klimaschutz, damit die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden kann.“
Die Schüler stehen nicht allein auf dem Platz: Vertreter des AStA der Universität zu Köln, der Anti-Braunkohle-Aktivisten von „Ende Gelände“ und der unter dem Banner der „Scientists for Future“ versammelten Wissenschaftler sind ebenfalls auf dem Roncalliplatz und unterstützen das Anliegen mit eigenen Redebeiträgen. Dann setzt sich der Demonstrationszug in Bewegung und zieht am Dom vorbei durch die Innenstadt. Die Veranstalter zählen zu diesem Zeitpunkt 12.000 Teilnehmer, die Kölner Polizei immerhin noch 9 bis 10.000. Lautstark sind sie allemal; viele der Slogans auf den Plakaten sind inzwischen klassische Schlagworte des Klimaschutz-Aktivismus, die weltweit Verwendung finden, wie etwa „There is no Planet B“ oder „Burn Capitalism, not Coal“. Andere wie „Let’s fuck each other, not the planet“ oder „It’s getting hotter than young Leonardo DiCaprio“ zeigen, dass die Schüler ihren Humor nicht verloren haben.
Bei der Zwischenkundgebung am Neumarkt zeigt sich die internationale Vernetzung der Bewegung am Redebeitrag von Natalie Garcia aus Argentinien, die den Demonstranten von der Abholzung des tropischen Regenwaldes in ihrem Heimatland berichtet. „40 Prozent der Entwaldung finden dort in Schutzgebieten statt. Gebiete, die zahllosen Tierarten und vielen indigenen Gemeinschaften eine Heimat bieten“, so Garcia. Dabei seien Wälder die wirkungsvollsten Instrumente gegen den Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre – und ihr Verschwinden unseren Ernährungsgewohnheiten geschuldet. „Argentinien gehört zu den größten Fleischexporteuren der Welt, auch hier in Deutschland zeigen viele Fleischtransporte die argentinische Flagge.“
Nicht weniger verheerend sei die Situation in Brasilien oder Kolumbien, wo die Wälder Plantagen für Palmöl weichen müssten, das in nahezu allen verarbeiteten Lebensmitteln zu finden sei. Sie appelliert an die Demonstranten, beim Kauf von Lebensmitteln auf die Inhaltsstoffe zu achten. „Meine Wirklichkeit scheint für euch weit weg zu sein, aber für Ökosysteme existieren keine politischen Grenzen – und der Verlust eines Ökosystems wirkt sich direkt auf alle anderen aus.“
Der Demonstrationszug geht schließlich weiter durch die Stadt und über die Deutzer Brücke bis zur Abschlusskundgebung am Deutzer Hafen. Derweil rufen die Aktivisten bereits zum nächsten Demonstrationstermin auf: Am 21. Juni soll im Rahmen einer Aktionswoche von Ende Gelände im rheinischen Braunkohlerevier in Aachen demonstriert werden. Bei dem Zentralstreik mit dem Motto „Climate Justice without borders – United For a Future“ werden Teilnehmer aus ganz Europa erwartet.
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