Montag, 17. März: Stimmengewirr und die Suche nach einem freien Platz bestimmen das Treiben im Cinenova in Köln-Ehrenfeld. Der größte Saal des Kinos ist bis auf den letzten Platz besetzt. Über 300 Gäste sind gekommen, um bei der Deutschlandpremiere von „Westen“ dabei zu sein. Der Regisseur ist kein Geringerer als Grimme-Preisträger Christian Schwochow.
In 102 Minuten erzählt der Thriller die Geschichte der 30-jährigen Nelly Senff, die mit ihrem Sohn Alexej aus der DDR in die Bundesrepublik flieht. 1975, drei Jahre vor der Flucht, ist ihr russischer Freund Wassilij bei einem Autounfall umgekommen. Nelly will die Trauer und die Erinnerungen an Wassilij hinter sich lassen und erhofft sich einen Neuanfang im Westen. Auch ihr Sohn Alexej leidet unter dem Tod seines Vaters. Er trägt immer einen Pullover von ihm bei sich.
Ein Schleuser, der sich als Nellys Verlobter ausgibt, hilft beiden über die Deutsch-Deutsche Grenze. Dann trennen sich ihre Wege, Mutter und Sohn müssen in West-Berlin in ein Notaufnahmelager. Dort wird Nelly schnell von ihrer Vergangenheit eingeholt. Die Alliierten stellen ihr wiederholt aufdringliche Fragen über ihren verstorbenen Freund, er soll ein Spion gewesen sein. Außerdem wird sie misstrauisch behandelt und muss unangenehme Untersuchungen über sich ergehen lassen. Ihre Erinnerungen an die Drangsalierungen in der DDR kommen immer wieder hoch und sie zweifelt daran, ob die Flucht ihr wirklich noch den ersehnten Seelenfrieden bringen wird. Aus der ursprünglich starken und selbstbewussten Frau wird zusehends ein Nervenwrack, das den Alltag als alleinziehende Mutter kaum noch bewältigen kann. Dadurch kommt es zum Streit mit ihrem Sohn, der mit seiner veränderten Mutter nicht mehr zurecht kommt. Nelly ist hin und her gerissen zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Ein Neuanfang wird ihr nur gelingen, wenn sie es schafft, die Vergangenheit wirklich hinter sich zu lassen.
„Westen“ gewinnt nach einem etwas langatmigen Anfang an Fahrt. Der Thriller lebt vor allem durch die intensive und großartige Darstellung der Nelly Senff durch Jördis Triebel. Ob als starke Powerfrau oder als Nervenbündel, Triebel ist stets überzeugend. Besonders gelungen ist auch die Besetzung des kleinen Alexej durch Tristan Göbel. Durch seine kindlichen Fragen sorgt er beim Kölner Publikum immer wieder für Lacher, obwohl es sonst nicht viel zu lachen gibt.
„Westen“ war bereits vor der Deutschlandpremiere auf Erfolgskurs. Letztes Jahr wurde er auf dem „Montréal World Film Festival“ als bester Film ausgezeichnet und Jördis Triebel erhielt den „Best Actress Award“. Der Film basiert auf dem Roman „Lagerfeuer“ von Julia Fricke, die selbst neun Monate im Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde verbrachte.
Italien, England, Frankreich und die USA hätten den Film schon eingekauft, erklärte Produzent Thomas Kufus am Ende der Filmvorführung. „Der Film zeigt einen Teil der deutsch-deutschen Geschichte, der für viele unbekannt ist", so Kufus weiter. Regisseur Christian Schwochow gab einen kurzen Einblick in die Dreharbeiten. Zum Beispiel verriet er, dass der Film in Bonn, Mönchengladbach und Köln gedreht wurde, obwohl er in Berlin spielt. „Das sind ganz tolle Drehorte". Es ist zudem auch sein dritter Film mit seiner Mutter Heide Schwochow, die das Drehbuch verfasst hat. Am Ende der Veranstaltung bat er dann nicht nur seine Mutter, sondern auch alle Darsteller auf die Bühne, wo vor allem der kleine Tristan Göbel viel Applaus erhielt. „Westen“ startet am 27.3. in den deutschen Kinos.
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