Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.585 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Die Schweizer Autorin Ariane Koch
Foto: Johannes Schäfer

Gesellschaftliche Zumutungen

30. August 2018

Herbstpremieren im Rheinland – Prolog 09/18

Einer geht, einer kommt. In beiden Fällen reagiert die Gesellschaft ohne jede Empathie, sondern mit Irritation. „Wer ist Walter?“ hat die 1988 in Basel geborene Ariane Koch ihr neues Stück betitelt, das Simone Blattner am Theater Bonn zur Uraufführung bringt. Walter ist verschwunden, hat seine vertraute Umgebung verlassen, sich herauskatapultiert aus allen analogen sozialen Netzwerken und die Seile vollständig gekappt. Geht es um Flucht? Geht es um Protest? Verbirgt sich darin Verachtung oder doch eher ein Versagen angesichts der Zumutungen der Welt? Die Gesellschaft aus Freunden, Bekannten, Vertrauten und Unvertrauten rätselt angesichts der Leerstelle, die Walter hinterlassen hat. Wer war überhaupt Walter? Es geht um die Spurensuche nach einem Verschwunden. Das Vakuum wird zur Tränke von Vergötzung und Verachtung. Für die einen ist Walter ein Rebell gegen die Delirien einer torkelnden Zivilgesellschaft, für die anderen ist er Fahnenflüchtiger angesichts dringend zu verrichtender gesellschaftlicher Herausforderungen.

Nicht anders ergeht es Beckmann, der aus dem 2. Weltkrieg in seine Heimatstadt Hamburg zurückkehrt. In Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“, das Charlotte Sprenger am Schauspiel Köln inszeniert, trifft der psychisch und physisch versehrte Soldat, der über keinen Vornamen mehr verfügt, auf eine weitgehend indifferente Umwelt. Seine Frau hat ihn längst für einen anderen Mann verlassen; ein Oberst sieht in ihm immer noch Menschenmaterial, der andere mahnt ihn zum Optimismus und selbst die Elbe weist den Selbstmörder Beckmann zurück. Ein Stationendrama der Vergeblichkeit, nicht nur angesichts einer völlig abgestumpften Gesellschaft, die mit dem Kriegsheimkehrer nichts anzufangen weiß. Die Zerstörungen haben auch jeden Lebenssinn vernichtet. „Wo seid ihr denn alle? Gebt doch Antwort. Warum gibt denn keiner eine Antwort?“, ruft Beckmann am Ende verzweifelt. Doch selbst Gott, der ihm zuvor zumindest im Traum begegnet war, schweigt beharrlich. Borcherts 1947 zunächst als Hörspiel veröffentlichtes Drama schlug im Nachkriegsdeutschland ein wie eine (literarische) Bombe.

Sind Beckmanns schmerzhafte Erinnerungen noch zu übertreffen? Lässt sich für dieses dezimierte Selbstwertgefühl ein Äquivalent finden? In Köln auf jeden Fall: Jeder FC-Fan leidet derzeit an den nicht zu betäubenden Phantomschmerzen der Bundesliga- und Europaleague-Amputation. Was bleibt ist der fußballerische Kreuzweg der Zweiten Liga, von der es nur eine Erlösung geben kann: den Aufstieg. Zur Schmerzlinderung kommt jetzt endlich Rainald Grebe nach Köln, um mit seinem Fußball-Oratorium „EFFZEH!EFFZEH!“ in einer Art dramatischer Massenpredigt geistlichen Beistand zu leisten und Hand aufzulegen.

„Wer ist Walter?“ | R: Simone Blattner | 5., 10., 16., 18., 25.10. 20 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08

„Draußen vor der Tür“ | R: Charlotte Sprenger | 26., 27., 30.10. 20 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 221 284 00

„EFFZEH!EFFZEH!“ | R: Rainald Grebe | 27., 30.10. 20 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 221 284 00

Hans-Christoph Zimmermann

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Selfie-Choreographie
„Spiegelneuronen“ am Schauspiel Köln

Ritter in der Moderne
„Don Quijote“ am Theater Bonn

Leichnam zu fairem Preis
„Glaube Liebe Hoffnung“ am Theater Bonn

Kampf gegen Windmühlen
„Don Quijote“ am Theater Bonn – Prolog 11/24

Folgenschwerer Frauenhass
„Empusion“ am Schauspiel Köln

Plädoyer für Klimagerechtigkeit
„216 Millionen“ am Theater Bonn

„Familie ist immer ein Thema“
Regisseur Rafael Sanchez und Dramaturgin Sibylle Dudek über die Spielzeit 2024/25 am Schauspiel Köln – Premiere 07/24

Den Schmerz besiegen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn – Theater am Rhein 07/24

Zum Rasen verdammt
„Ein von Schatten begrenzter Raum“ am Schauspiel Köln – Auftritt 06/24

Menschliche Eitelkeit
„Ein Sommernachtstraum“ in Köln – Theater am Rhein 06/24

„Wir können nicht immer nur schweigen!“
Jens Groß inszeniert Heinrich Bölls Roman „Frauen vor Flusslandschaft“ am Theater Bonn – Premiere 06/24

Bitte keine Zuversicht
„Die letzten Männer des Westens“ am Schauspiel Köln – Auftritt 05/24

Bühne.

Hier erscheint die Aufforderung!