Simon Schwartz hat mit „Packeis“ und vor allem seinen Zeitungsstrips „Vita Obscura“ gezeigt, dass er ein Händchen für ungewöhnliche Biografien hat. Das unterstreicht er mit seinem neuen Comic „Ikon“. Schwartz erzählt die Geschichte von Gleb Botkin, Sohn des Leibarztes des letzten russischen Zaren. Während die Zarenfamilie und Botkins Vater 1917 ermordet werden, kann der 17-jährige Gleb fliehen. Jahre später erfährt er, dass die jüngste Zarentochter Anastasia, mit der er aufgewachsen ist, eventuell noch lebt: Eine verwirrte Frau wird in Berlin aufgelesen und könnte Anastasia sein. Ein Verwirrspiel beginnt, in dem die unterschiedlichsten Interessen und Intrigen den weiteren Handlungsverlauf bis in die 1980er Jahre prägen. Schwartz erzählt in Zeitsprüngen und verdichtet die Geschichte um seine beiden Hauptfiguren. Mit seinen stilisierten Zeichnungen mit kantigem Strich, starken Kontrasten und Rasterfolie entfaltet er eine düstere Atmosphäre (Avant Verlag).
Ihr Diplom machte die Zeichnerin Olivia Vieweg 2011 mit dem Zombie-Comic „Endzeit“. Jetzt ist eine neue, mit fast 300 Seiten wesentlich umfangreichere Fassung der Story erschienen: Vivi lebt in Weimar, das nach dem Auftauchen von Zombies neben Jena eine der wenigen Enklaven für Menschen geblieben ist. Sie ist in der Psychiatrie und wird von der Leiterin als eine Art unfreiwillige Ersatztochter gehalten. Bei einem Einsatz am löchrigen Schutzzaun von Weimar lernt sie die resolute Eva kennen. Das Schicksal verschlägt die beiden kurz darauf auf einen gefährlichen Trip nach Jena. Vieweg, die auf einem seltenen Pfad zwischen Graphic Novel und Manga wandelt, schickt ihre beiden jungen Heldinnen auf eine erstaunliche Reise zwischen blutrünstigen Zombies und blühenden Landschaften (Carlsen). Frauke Berger steht noch am Anfang ihrer Karriere, doch ihr Debüt „Grün“ erscheint gleich beim Splitter Verlag und ist zudem noch ein Mehrteiler. Zeichnerisches Vorbild für ihren Science Fiction ist eindeutig Moebius, die Story um die Nomadin Lis auf einem postapokalyptischen Planeten ist ähnlich abgedreht. Und hier und da vielleicht auch ein wenig verschwurbelt – aber das klärt sich vielleicht bei den nächsten Bänden.
Michele Petrucci hat das abenteuerliche Leben von „Reinhold Messner“ in aufwändigen Aquarellzeichnungen festgehalten. Im Vorwort erklärt der Bergsteiger, dass er Petrucci freie Hand gelassen habe, ihn lediglich auf seine Bücher als Grundlage für den Comic verwies. Das Ergebnis ist entsprechend begeistert von Messners Heldentaten. Die uneingeschränkte Lobhudelei ist nicht nur ermüdend, sondern vollkommen unnötig. Denn ein freierer Blick auf die sportlichen Extremleistungen wäre sicher spannend gewesen. So werden die bekannten Stationen abgeklappert, Neues erfährt man nicht. Ähnliches gilt hier: Xavier Bétaucourt, Bruno Cadène und Éric Cartier erzählen in „One, two, three, four, Ramones!“ die Geschichte der Proto-Punks aus New York aus der Perspektive des Gitarristen Dee Dee Ramone. Dee Dee, der von 1974 bis 1989 bei den Ramones war, zeichnete für einen Großteil der Songs verantwortlich. Allerdings kämpfte er auch zeitlebens mit seiner Drogensucht, der er 2002 mit 50 Jahren erlag. Der Comic schildert Dee Dees persönliche Probleme, die Rangeleien innerhalb der Band sowie das musikalische Auf- und Ab der Punk-Legende (beide Knesebeck). Und zum Schluss – nicht vergessen: Am 12. Mai ist wieder Gratis-Comic-Tag mit vielen Aktionen und kostenlosen Sonderausgaben in den einschlägigen Comicläden.
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