Ein Theaterstück zu einem solch brisanten Thema wie Alzheimer, eine Krankheit, die manch einer bei Angehörigen leidvoll erlebt hat oder auch für sich selbst befürchtet, in ein Boulevardtheater zu bringen, könnte schwierig sein. Und das auch noch vor dem Hintergrund des mutigen Kinofilms, der trotz zahlreicher Bedenken dann doch sehr erfolgreich war. Vielleicht war deshalb die Premiere auch nicht ganz so voll wie üblich. Aber die „Fernbleiber“ haben einen Abend mit Tiefgang, mit traurigen und lustigen Momenten, mit Lachen und beim einen oder anderen auch mit Weinen versäumt – eine Geschichte, welche das Leben schrieb.
Autor Florian Battermann und der Regisseur René Heinersdorff haben die vielen Original-Film-Akteure auf vier Personen reduziert, neben Opa Amandus Rosenbach (mit knapp 80 sehr fit: Achim Wolff) gestalten sein Sohn Niko (Johannes Brandrup), dessen Frau Sara (Natascha Hirthe) und die Enkelin Tilda (Anne Bedenbender) die zu Herzen gehende Story. Amandus, einstiger Lebemann und humorvoller Familienmittelpunkt, verliert nach dem Tode seiner Frau Margaret zunehmend die Orientierung, geht mit einem uralten Bikinibild zur Polizei, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben und kann einfach nicht mehr alleine leben. Enkelin Tilda, die ihren Opa über alles liebt, sträubt sich gegen ein Altersheim; also kommt Opa ins Haus der Familie. Tilda erzählt dabei immer wieder den aktuellen Stand der Handlung, ein geschickter Kunstgriff. Aber auch im Haus seines Sohnes richtet Amandus Chaos aus, pinkelt in den Kühlschrank, enthauptet beim Heckeschneiden die Gartenzwerge und verwechselt bei der Gartenparty die Bedienpulte von Musik und Pyrotechnik. Und fackelt fast das Haus ab, als er die teuren High Heels seiner Schwiegertochter in den Backofen schiebt.
Opa hat immer wieder lichte Phasen, erkennt unter Verzweiflungsanfällen seinen Zustand. Das ist alles gar nicht lustig, wenngleich auch gelacht werden kann, denn der alte Routinier Achim Wolff überzeugt sehr als knorriger Alzheimer-Patient, der auch immer mal alte Witze zu Besten gibt – und seinem Sohn eröffnet, dass er ihn wirklich liebt – und umgekehrt. Das ist alles ganz anrührend, vor allem wenn die Enkelin fragt, wie das mit den Erinnerungslücken ist. Wie Honig im Kopf halt, alles verklebt, meint Opa. Und warum sich viele Menschen verändern, wenn sie älter werden. Oder wenn Papa Niko, der wegen Opa ziemlichen Stress mit seiner Frau hat und mit ihr eh im Clinch liegt wegen beiderseitiger Seitensprünge, ihr erklärt, dass bei Opa nacheinander alle Bücher aus dem Regal der Erinnerungen fallen.
Stephan von Wedel hat eine genial einfache Bühne gebaut: zwei bewegliche Bücherregale, die von rückwärtig als kahle Wände, als Friedhofskapelle mit einem Kreuz und Bild der verstorbenen Oma, von vorne als Wohnraum und als Landschaft dienen; die Schauspieler schieben die Elemente selbst hin und her. Dazu ein Tisch mit einigen Stühlen und ein Autolenkrad. Denn Tilda fährt mit ihrem Opa mit Papas geklautem Auto auf abenteuerliche Weise nach Venedig, in seine geliebte Stadt, wo er mit seiner Frau so glücklich war und wo sie nackt am Lido baden wollte. Denn Freude ist das Düngemittel des Gehirns, hat Tildas Kinderarzt erklärt. Die zierliche Anne Bedenbender, obwohl selbst schon knapp über 30, spielt diese Figur mit kindlichem Charme, mit Zöpfen, heller Mädchenstimme, berührend und auch erheiternd zugleich. Und sachkundig – hatte dem Vernehmen nach ihr Großvater doch auch diese heimtückische Krankheit, die sie mit den Augen eines Kindes sah, ohne aber deren Tragik aus den Augen zu verlieren.
„Honig im Kopf“ ist eine sehr gut gemachte, gefühlvolle Tragikomödie über das Leben mit Alzheimer, einer Krankheit, die immer mehr in der Öffentlichkeit steht, sodass diese Patienten nicht mehr einfach weggesteckt werden. Und älter werden wir alle. Vielleicht wollte auch der sehr reichliche und herzliche Applaus des Premierenpublikums die Stille des Einzelnen über seine Betroffenheit überdecken.
„Honig im Kopf“ | R: René Heinersdorff | bis 15.7., 7x die Woche | Theater am Dom | 0221 258 01 53
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