Das Boulevardtheater ist eine im Paris vor 200 Jahren entstandene Theaterform und kann sich gleichermaßen auf eine Art von Spielstätte wie auf ein Theatergenre beziehen. Im deutschen Sprachgebrauch wird der Ausdruck Boulevardtheater heute allerdings für Lustspiele in einem kleinen Theater verwendet. Und da steht jeder Autor oder Regisseur immer vor der schwierigen Gratwanderung, die Zuschauer gut zu unterhalten und zum Lachen zu bringen, andererseits aber auch in nicht in allzu flachen Klamauk abzugleiten.
René Heinersdorff, Altmeister der flotten Komödie, hat „Ketten der Liebe“, das neue Stück von Tom Gerhardt – sein erstes Bühnenwerk – und seinem langjährigen Theaterfreund Franz Krause (der seinen Nachnamen für den „Hausmeister“ spendiert hatte), mit leichter Hand ins Theater am Dom gebracht, eine Bühne, die weit in den Zuschauerraum hineinragt – eine prima Voraussetzung für eine transparente Inszenierung. Natürlich ist die Geschichte schon von Beginn an abstrus und verdichtet sich immer mehr bis zum Exzess – aber auch mit Happy End. Gerhard hatte in „Dinner für Spinner“ bereits 2015 den einfältigen Tollpatsch gespielt, der aber rasch den Spieß umdrehte und seine „Peiniger“ alt aussehen ließ.
Nun mimt er Matthias Bommes, den Chef eines Andy-Roth-Fanclubs, der zwei Stunden vor einem Auftritt seines geliebtes Idols backstage dabei sein (putzige Bühne von Johannes Fischer mit Schminktisch und Plakaten) und seinen Star befragen darf. Andy (brillant: Dustin Semmelrogge), ganz in rot gekleidet, ein erfolgreicher Softrock-Sänger, ist auch als Mann sehr von sich überzeugt; er schnupft noch rasch eine Nase Kokain und riecht an seinen Fingern, nachdem er sich vorne in die Hose gegriffen hatte. Andy geht mit seiner Freundin und Managerin Vera (Jeannine Burch) die Checklisten vor seinem nahenden Auftritt durch; den gewonnenen Besuch von Matthias Bommes hat er schlicht nicht mehr auf dem Schirm. Für sein Idol hat der Fanclub ein Geschenk gebastelt: ein beleuchtetes Modell der Bühne, an der sich der Star einen elektrischen Schlag holt und erst mal ausfällt.
Der einfältige Bommes, mit Bermuda-Shorts, Turnschuhen und Bauchtasche, an der er ständig herumnestelt, ist schon eine traurige Figur, wenn er von seinem Fanclub erzählt. Die Zeit drängt. Total irre wird eine Probe, wo Bommes sich als Friedenstaube aus der Show anbietet, da sich die eifersüchtige Managerin beleidigt verdrückt hat. Denn da kam ein weiterer ganz großer Fan: das kesse Groupie (Swantje Riechers), die gemäß Andys größtem Song „Ketten der Liebe“ Handschellen mitgebracht hat, als 17-Jährige auch eine Affäre mit ihm hatte und sich für ein Selfie an ihn fesselt. Prompt verschluckt Bommes den Schlüssel, rasch eingenommenes Glaubersalz bringen ihn zwar wieder hervor, aber der Trottel spült diesen in die Toilette. Ein Riesenproblem, weil der Freund der Dame, ein Sanitäter (Armin Riahl) eifersüchtig ist und gewalttätig sein kann. Da ist es schon sehr schwierig, diese mechanische Verbindung zu verstecken. Bommes holt den Hausmeister – natürlich auch von Tom Gerhardt zur Freude des Publikums und im üblichen grauen Kittel gespielt – und bald taucht auch eine BILD-Reporterin auf…
Die Akteure auf der Bühne agieren allesamt sehr überzeugend, Sonja Kerskes und Armin Riahi haben gleich zwei Rollen: sehr spielfreudig, mit gutem Timing und offensichtlich mit viel Spaß an der Sache. Vor allem: Es wird nicht zu albern – da merkt man schon den erfahrenen Regisseur. Tom Gerhardt ist natürlich schon der Mittelpunkt, er hält sich aber zurück und spielt niemanden an die Wand. Man muss allerdings ein wenig seine intellektuellen Ansprüche zurückschrauben, um richtig Spaß an der verrückten Geschichte zu haben, aber nur zu Lachen hat ja auch seine Berechtigung. Vor allem, wenn die Lockmittel und Nachforschungen der Boulevard-Presse für gesellschaftlichen Klatsch derart trefflich auf den Arm genommen werden.
„Ketten der Liebe“ | R: René Heinersdorff | 7x wöchentlich | Theater am Dom | 0221 258 01 53
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