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Joachim Steinigeweg, Foto: Verena Günther

„Kinder in den Mittelpunkt stellen“

07. November 2019

Joachim Steinigeweg über das Cinepänz-Jubiläum – Festival 11/19

choices: Herr Steinigeweg, das Cinepänz feiert sein 30-jähriges Bestehen. 1989 startete das Fest mit ‚nur‘ 9 Filmvorführungen. Heute sind es 180, die an 17 Veranstaltungsorten gezeigt werden. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Joachim Steinigeweg: Für den Erfolg des Kinderfilmfests gibt es sicherlich viele Gründe. Zuschauer und auch Förderer haben erkannt, dass es auch für Kinder ein kulturell anspruchsvolles Angebot für Kinder im Bereich Kino geben muss. Kinderfilme sprechen heute die Lebenswelten von Kindern mehr an als in früheren Jahren, damit sind sie ansprechender für Kinder geworden; Kinder fühlen sich im Kinderfilm ernst genommen. Hinzu kommt auch die in anderen Kultursparten zu beobachtende Entwicklung weg vom regelmäßigen Programm hin zu Festivals und Events. Sicherlich spielt auch eine Rolle, dass der Veranstalter, das jfc Medienzentrum, dem Kinderfilmfest Cinepänz ein große Bedeutung beimisst und nicht nur genügend materielle und personelle Ressourcen in das Festival steckt, sondern auch die Förderer von der Bedeutung des Kinderfilmfestes überzeugen konnte.

Haben sich die Themen in Kinderfilmen im Vergleich zu damals maßgeblich verändert?

Es gibt zwei Trends, die sich in den vergangenen Jahren ausgeprägt haben. Zum einen gibt es im Kinderfilm nicht mehr die heile Welt wie zum Beispiel in Bullerbü. Vielmehr prägen den Kinderfilm heute Problemlagen, die die Kinder zu bewältigen haben, an denen sie wachsen und bei denen sie Erfahrungen machen können. Manchmal wirkt das schon etwas übertrieben, wenn kaum noch ein Kinderfilm ohne eine dysfunktionale Familie daher kommt. Andererseits machen solche Filme den Kindern Mut, auch mit schwierigen Lebenslagen umzugehen. Sie geben so Hilfestellung für die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Zuschauer. Zum anderen haben sich Kinderfilme in die verschiedenen Genres hinein entwickelt. Es gibt den Action-Film für Kinder, den Science-Fiction Film, den Agentenfilm und sogar den Horrorfilm für Kinder. Dass dabei die Genres oft auch parodiert werden führt zu doppeltem Spaß beim Ansehen.

Das diesjährige Fest steht unter dem Motto „Aufbruch“. Wurde die Wahl auch durch aktuelle Bewegungen wie zum Beispiel Fridays for Future beeinflusst, bei denen Kinder und Jugendliche treibende Kräfte sind?

„Aufbruch“ ist ja immer ein dankbares Thema für eine Filmauswahl. In fast allen Filmen gibt es eine Entwicklung, eine äußere oder innere Reise des Helden oder der Heldin. Aber tatsächlich war gerade auch Fridays for Future eine Anregung für die Wahl des Mottos. Die in der Gesellschaft zu spürende Aufbruchsstimmung wollten wir in das Kinderfilmfest übertragen. Es gab sogar einen Plakatentwurf, der die Fridays for Future als Vorbild nahm. Den haben die beteiligten Kinder aber nicht ausgewählt. Aber in Form eines Workshops ist Fridays for Future dann doch noch bei Cinepänz vertreten.

Was für Attribute muss ein Kinderfilm haben, um in die Auswahl zu kommen?

Beginnen wir vielleicht mit den Kriterien, die zum Ausschluss aus der Auswahl führen. Es geht bei Cinepänz nicht um reine Unterhaltung und nicht um das sogenannte Family-Entertainment, das man im kommerziellen Bereich anbietet. Cinepänz sucht Filme aus, die Kinder in den Mittelpunkt stellen. Immer stellt sich die Frage, ob ein Kind im Fokus der Handlung steht und ob die aufgeworfenen Konflikte aus Kindersicht gezeigt werden. Ist der Film solidarisch mit dem Protagonisten? Gibt es eine Lösung für die Probleme, die im Film auftauchen? Bietet der Film seinen Zuschauern eine Möglichkeit, ihn im Hinblick auf die eigenen Situation zu überdenken? Oder einfach gefragt: Nimmt der Film seine Zuschauer ernst? Gerne darf es dann auch noch spannend und unterhaltsam sein. Und wenn dann der Film auch noch handwerklich gut gemacht ist und Wert auf eine gelungene visuelle Umsetzung legt, nehmen wir ihn gerne in unser Programm.


Zu weit weg

Bei Cinepänz geht es ja auch immer darum, Kinder und Jugendliche an Medien heranzuführen. Welche Möglichkeiten werden dieses Jahr geboten?

Wir verstehen ja schon ein gut kuratiertes, hochwertiges Programm als ein kulturelles Ereignis, das Kinder mit dem Medium Film vertraut macht und ihnen Qualitätsmaßstäbe an die Hand gibt, mit denen sie in der Fülle des Medienangebots zurecht kommen können. Zudem öffnen wir hoffentlich den Kindern die Köpfe auch für andere Kultursparten. In unseren Workshops geht es darüber hinaus ganz konkret um das Erlernen von Aspekten des Filmemachens. Dankbar sind Trickfilmworkshops, in denen die Kinder rasch Ergebnisse sehen können, aber auch merken, wie viel Arbeit es macht, Trickfilme zu drehen. Für Anfänger gibt es den Workshop „Videodreh leicht gemacht“. Darüber hinaus wird Cinepänz von Journalistenkindern begleitet, die Filmkritiken schreiben, Festivalgäste interviewen, Fotos machen und ihre Arbeitsergebnisse online stellen.

Welche Funktion hat dabei die Kinderjury und wie wird diese ausgewählt?

Die Kinderjury sichtet alle Filme aus der Sparte „Wettbewerb“ und vergibt den Cinepänz-Preis. Die Kinder erarbeiten vorab Kriterien, nach denen sie die Filme bewerten und setzen sich nach jeder Vorführung zu einer Jury-Sitzung zusammen, um über den gesehenen Film zu sprechen. Die Kinder melden sich bei uns für die Jury, nachdem wir unseren Aufruf z.B. in den Tageszeitungen gestartet haben. Oft kommen sie aber auch von sich aus auf uns zu. Wir führen dann ein Gespräch mit den Bewerbern, um zu erfahren, ob sich die Vorstellung der Kinder von der Jury-Arbeit mit den tatsächlichen Anforderungen deckt. Und wir möchten gerne erfahren, wie interessiert das Kind am Kino und an Filmen ist. Wir sprechen darüber hinaus mit den Eltern, ob die mit der Teilnahme ihres Kindes einverstanden sind, aber auch, ob sie einschätzen können, ob das Kind die Ausdauer mitbringt, eine komplette Woche dabei zu sein und die umfangreiche Jury-Arbeit auch zu leisten. Und nicht zuletzt: Wie steht das Kind in der Schule, oder anders gefragt: Kann sich das Kind eine Woche Juryteilnahme leisten? Auch die Jury-Teilnahme führt Kinder ähnlich wie die Journalistenkinder an Medien heran und gibt ihnen Kriterien in die Hand, aus der Fülle von Medien auszuwählen, was zu ihnen passt.

Am 16.11. geht es endlich los. Gibt es etwas, auf dass Sie sich besonders freuen?

Ich freue mich sehr auf unseren Eröffnungsfilm „Zu weit weg“ von Sarah Winkenstette. Der Film bietet eine faszinierende Geschichte: Ein Junge muss im rheinischen Braunkohlerevier sein Heimatdorf verlassen, weil es abgebaggert wird. Er trifft im Fußballverein einen syrischen Jungen, der ebenfalls seine Heimat verlassen musste. Diese Parallele finde ich sehr verblüffend und inspirierend. Zudem wird das komplette Filmteam von „Zu weit weg“ bei unserer Eröffnungsveranstaltung dabei sein. Äußerst spannend finde ich auch unser Programm mit VR-Filmen, das wir mit Hilfe der Firma Evrbit verwirklichen. VR- oder 360°-Kino wird mit einer Brille angesehen, die überall, auch hinter dem Zuschauer, Bild anbietet. Man ist also von der Handlung umgeben und sitzt im Prinzip in einer virtuellen Bildkugel. VR war in meiner Wahrnehmung bislang eher ein Werkzeug für Gamer. Wir versuchen, aus der Vorführung ein Kino-Gemeinschaftserlebnis zu machen. Mit kindgerechten VR-Filmen probieren wir aus, ob diese Art von Erlebnis die Zukunft des Kinos sein könnte.

Cinepänz – 30. Kölner Kinderfilmfest | 16. - 24.11. | div. Orte | www.cinepaenz.de

Interview: Mathis Beste

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