Andächtig lauscht das Publikum den Tönen des 87-jährigen Hans-Joachim Roedelius bei seinem Gastspiel Anfang August im Green Room des Stadtgartens. Die leisen Klänge des Pianos vermischen sich mit den Geräuschen der vorbeifahrenden Züge und des benachbarten Biergartens zu einer Art meditativer Industrial-Ambient-Musik. Was bei anderen Gelegenheiten störend wirken würde, scheint hier ein gewolltes Zusammenspiel von Künstler und Umgebung zu sein. Im Interview spricht Roedelius über sich und seine Musik.
choices: Herr Roedelius, welche Beziehung haben Sie zu Köln?
Hans-Joachim Roedelius: Dieter Moebius und ich waren zur Zeit von Cluster viel zwischen Köln und Düsseldorf unterwegs. Wir haben in Düsseldorf gewohnt und öfters mal in Köln gespielt. Und mit Konrad Schnitzler und Conny Plank haben wir ja in der Nähe von Köln die Kluster-Alben aufgenommen.
Im Laufe Ihrer Karriere haben Sie an verschiedenen Orten gelebt: Geboren und aufgewachsen in Berlin, dann in Düsseldorf, später der Umzug ins Weserbergland und Ende der 70er nach Österreich, der Heimat Ihrer Frau. Welchen Einfluss hat die Umgebung auf ihr Schaffen?
Ich wohne jetzt auf halbem Wege zwischen Beethoven- und Mozart-Haus. Das ist wirklich wahr (lacht). Auf der einen Seite hat Beethoven seine Neunte zu Ende geschrieben und auf der anderen hat Mozart sein „Ave Verum“ komponiert.
Und was schreiben Sie dazwischen?
Mittlerweile experimentiere ich mit extremem Minimalismus, mit dem Spielen von Resonanzen beim Sustain-Trampeln auf dem Klavier. Ich habe mit diesem Instrument eine tiefe Freundschaft geschlossen. Die schwingende Saite ist in meinem Lebensausklang das bestimmende Element. Das ist so interessant, da bin ich bis zu meinem letzten Atemzug mit beschäftigt (lacht). Ich sitze am Klavier und habe keine Absichten, lausche nur dem Abklingen eines Tones und lasse mich davon inspirieren. Und wenn ich Lust habe, fließt ein anderer Ton hinein und dann entsteht ein Universum, wenn man feinfühlig ist. Ich bin kein Virtuose, ich kann ja sowieso nicht spielen. Ein kleines Reservoir von Stücken, die ich mag, kann ich reproduzieren, aber die meisten von mir komponierten Stücke habe ich vergessen. Bei meinen Konzerten hoffe ich dann immer, dass mir irgendetwas einfällt (lacht).
Kommen wir zurück zu den verschiedenen Orten. Als sie zusammen mit Moebius 1972 nach Forst ins Weserbergland gingen, änderte sich die Musik recht deutlich.
Ja, das stimmt. Forst war ein wundervoller Ort, zumindest solange ich noch nicht wusste, dass dort ein AKW in der Nähe stand. Wir entwickelten uns dort von der Stadt- zur Landmusik: Näher an der Erde, näher an der Natur, abseits von Autostraßen. Hätte es die Leukämiegefahr durch das AKW nicht gegeben, wäre ich mit meiner Familie dort geblieben. Insgesamt waren es schöne sieben Jahre.
Sie haben als Solokünstler mit unzähligen Musikern zusammengearbeitet. Wer kommt da auf wen zu?
Das passiert einfach so auf dem Weg. Man trifft jemanden und man bleibt hängen, weil die Chemie stimmt. Tim Story kam zum Beispiel als Reporter einer Studentenzeitung nach Forst. Später hat er mich in Österreich besucht. Wir sind zu einem See in 1000 Metern Höhe gereist, die reine Romantik. Da haben wir beschlossen, wenn wir jemals zusammen Musik machen, dann nennen wir unsere erste Platte nach diesem Ort. „Lunz“ erschien dann 2002. In diesem Jahr haben wir mit „Four Hands“ ein neues Album veröffentlicht. Er besitzt einen der größten Flügel, mit dem wir einige schöne Stücke gezaubert haben. Christopher Chaplin, den jüngsten Sohn vom Charlie, dagegen habe ich aus dem Dornröschenschlaf geholt. Das ist ein hochbegabter Künstler, den ich in einer ehemaligen Irrenanstalt in Wien getroffen habe, dem heutigen Art Brut-Museum Gugging. Den habe ich aus seiner Hermetik wach geküsst und mit ihm 2011 ein Konzert für die BBC eingespielt.
Zum Schluss möchte ich auf ein Interview zu sprechen kommen, das Sie einem Berliner Stadtmagazin in diesem Jahr gegeben haben. Da wurden sie wegen Ihrer Äußerungen bezüglich Impfung und der Corona-Politik in Österreich heftigst abgewatscht.
Der Journalist hat mich aufs Glatteis geführt und meine Worte falsch wiedergegeben. Jemand, der anders denkt, wird sofort in die rechte Ecke gestellt. Da sehe ich mich nicht. Ich glaube seit langem an die Ganzheitsmedizin. Davon weiche ich auch jetzt nicht ab. Nicht alles lässt sich mit der Schulmedizin lösen. Die Einführung einer Impflicht wäre für mich eine unverhältnismäßige Freiheitseinschränkung gewesen. Nur weil die rechte Seite dies populistisch instrumentalisiert, kann mich das nicht dazu bewegen, dass ich das nicht äußere. Die Auseinandersetzungen über das Impfen kenne ich aus der eigenen Familie, doch das hat uns nicht gespalten.
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