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„Zimmer Nummer Sechs“
Foto: MEYER ORIGINALS

Irrenarzt? Irrer Arzt?

28. März 2013

„Zimmer Nummer Sechs“ am FWT – Theater am Rhein 04/13

Eine Schwester Ratched ist nicht in Sicht. Doch die nach oben buckelnde, nach unten tretende Wärterin Nikita (Doris Plenert) führt ein ähnlich restriktives Regiment wie die Oberpflegerin in „Einer flog übers Kuckucksnest“. Ihre Gerte sitzt locker, wenn die stille Paralytikerin (Franziska Schmitz), der scheue Psychotiker (Lucas Sánchez) und der aufbrausende Paranoiker Gromow (Till Brinkmann) nicht genug Kadavergehorsam an den Tag legen. Klinikchef Andrej Jefimitsch Ragin (Kai Hufnagel), ganz der zerstreute Professor, hält sich aus derlei unschönen Maßnahmen heraus. Bis er sein bequemes Weltbild nicht länger aufrechterhalten kann. Gespräche mit Gromow, dem Insassen aus „Zimmer Nummer Sechs“, lassen den Doktor erst an dessen Krankheit zweifeln, dann an der willkürlich gesetzten Grenze zwischen Wahnsinn und freiem Geist. Eine gefährliche Einstellung für jemanden in Ragins Position. Da scheint der Weg vom Irrenarzt zum irren Arzt plötzlich nicht mehr weit.

So wie Gerhard Seidel Anton Tschechows Novelle „Krankenzimmer Nr. 6“ etwas netter umgetitelt hat, so milde erscheint die Adaption am Freien Werkstatt Theater auch insgesamt. Dass der Co-Intendant des Hauses in seiner Bühnenfassung das Hauptmotiv der tragischen Tschechow-Liebesgeschichte „Die Dame mit dem Hündchen“ eingebunden hat, passt gut und betont die gesellschaftskritische Intention. Doch echte Verzweiflung bricht nur in wenigen Momenten der Inszenierung von Ulrich Meyer-Horsch aus dem Protagonisten und seiner Spiegelfigur heraus.

Kai Hufnagel und Till Brinkmann spielen das eindringlich, so wie sie auch in komödiantischen Situationen überzeugen. Überhaupt gelingt in der Aufführung die Balance zwischen Tragik und Komik. Die Absurditäten des Stoffes und dessen schwermütige Grundierung sind auch im teils surreal anmutenden, teils naturalistischen, aufwändigen Bühnenbild (Erik Salvesen) präsent. Da mögen die eingelegten Gurken eine kauzige Vorliebe des Doktors sein, illuminiert im Glas dümpelnd könnten sie aber auch Körperteile in Formalin darstellen. Es sind solche Nuancen, die die souveränen, wohltemperierten knapp neunzig Minuten mit abgründigen Ambivalenzen würzen.

„Zimmer Nummer Sechs“ nach Anton Tschechow | R: Ulrich Meyer-Horsch | Freies Werkstatt Theater | 6./10./11./27.4. 20 Uhr | www.fwt-koeln.de

JESSICA DÜSTER

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