Zur
Person:
Frank Arlandt (58) war früher Sportjournalist, arbeitet
heute als Gewaltberater und -pädagoge und betreibt in Köln die
Beratungsstelle „Männer gegen Männergewalt“ am Ebertplatz.
choices: Gewalttätig werden nicht Menschen, sondern Männer. Aber es gibt doch auch Frauen, die schlagen…
Frank Arlandt: Ja, auch Frauen schlagen. Gewalt ist bei Frauen auch keine marginale Angelegenheit. Immerhin 10 bis 15 Prozent der Frauen sind gewalttätig. Das ist was, was Frauen nicht gerne hören, weil Frauen sich häufig als Opfer sehen. Es ist für viele Frauen überraschend, dass auch sie Täter sein können.
Wie häufig werden Männer gewalttätig?
Jeder fünfte Mann ist gewalttätig in seiner Beziehung. Und da rede ich nur von körperlicher Gewalt. Und in meiner Tätigkeit konzentriere ich mich auf die Arbeit mit gewalttätigen Männern. Das hat mit meiner Methodik zu tun.
Was ist genau männliche Gewalt?
Zur
Person:
Frank Arlandt (58) war früher Sportjournalist, arbeitet
heute als Gewaltberater und -pädagoge und betreibt in Köln die
Beratungsstelle „Männer gegen Männergewalt“ am Ebertplatz.
Gewalt ist Gewalt. Bei Frauen ist sie nur häufig subtiler. Das heiße Bügeleisen, das mehr oder weniger nebenbei auf der Haut platziert wird zum Beispiel. Giftmorde sind bei Frauen auch stärker vertreten, als bei Männern. Männer sind eher Kandidaten für offene, zuschlagende Gewalt.
Wo liegt der Unterschied in der Arbeit mit Männern im Gegensatz zu der mit Frauen?
Ich arbeite bewusst als Mann mit Männern, weil sie eine ähnliche Sozialisation haben. Darum kann ich nur begrenzt mit Frauen arbeiten. Es gibt auch andere Ansätze, wie bei der Arbeiterwohlfahrt, wo Frauen bei Antiaggressionstrainings gezielt bei der Arbeit mit Männern eingesetzt werden. Aber das halte ich nur für begrenzt erfolgversprechend. Damit will ich nicht sagen, dass Frauen inkompetent sind. In meiner Arbeit hat sich herausgestellt, dass die jeweilige Sozialisation der Geschlechter die tragende Rolle spielt, um gewalttätiges Verhalten ablegen zu können. Das schlägt sich bereits bei den Konnotationen, also den Wortbedeutungen, im jeweils eigenen Begriffsapparat nieder. Das heißt, dass wenn ich was sage, dann sage ich das immer als Mann und da steigen Männer anders drauf ein. Die Bedeutungen von Wörtern sind durch die Sozialisation bei Männern andere als bei Frauen.
Sie arbeiten als Mann mit Männern, was bedeutet das?
Der Beratungsprozess ist weniger ein intellektueller, als ein emotionaler oder seelischer Prozess. Es gibt bestimmte Elemente mit denen wir arbeiten. Beispielsweise setzten wir das Vier-Seiten-Modell des Hamburger Kommunikationswissenschaftlers Friedemann Schulz von Thun ein. Demnach können wir ein und dieselbe Aussage auf verschiedenen Ebenen verstehen.
Das klingt jetzt aber doch sehr nach intellektuellem Prozess…
Abwarten. Es gibt da so ein Beispiel. Ein Paar steht an einer Ampel. Es ist rot, wird gelb und dann ist grün. Fährt der Mann nicht gleich los, sagt die Frau: „Es ist grün.“
Kennt jeder…
Der Mann kann das jetzt auf verschiedenen Ebenen verstehen. Das kann er als Information oder auf der Sachebene hören. Das kann er auch als Apell verstehen: „Jetzt fahr bitte los.“ Oder er kann das als Beziehungsaussage auffassen: „Ich fahre besser Auto als du!“ und somit kann das auch als Abwertung verstanden werden. Dabei sagt die Frau ja eigentlich nur: „Es ist grün.“
Man bringt den Männern also bei: Du kannst Dinge so und so verstehen, es wäre aber günstiger solche Aussagen wertneutral zu verstehen?
Nein überhaupt nicht! Nicht wertneutral. Es geht darum zu wissen, dass wir bestimmte Dinge als Vorwurf hören und genau dafür wollen wir sensibilisieren. Männer haben im Laufe ihres Lebens verlernt, sich genau oder gut wahrzunehmen. Männer, die gewalttätig sind, sind in diesen Situationen hilflos. Was sie aber nicht merken. Denn bei Hilflosigkeit würden Männer sich grundsätzlich als Mann in Frage stellen. Denn für Männer gilt einfach: „Männer sind nicht hilflos! Frauen, ja, und Kinder, aber nicht Männer!“ Und genau da muss man dann ran. Wir versuchen die gewalttätigen Männer für ihre eigenen Grenzen zu sensibilisieren. Mitzukriegen: Meine Grenze ist nicht so weit weg, wie ich immer gedacht habe.
Welche Grenze meinen Sie?
Es geht um die Abgrenzung von den Menschen, die uns am nächsten sind. Das sind unsere Frauen, Partner und Kinder. Das sind die Menschen, von denen uns die Abgrenzung am schwersten fällt. Und ich grenze mich ab, indem ich ein echtes Gefühl zeige oder in Kontakt bringe.
Männer dürfen also weinen?
Das ist ein gutes Beispiel. In meiner Praxis war mal ein Mann, der von seiner Frau so beleidigt und gekränkt wurde, dass ihm die Tränen kamen. Damit war die Frau, die schon oft Opfer von Gewalt war, total überfordert und hat gesagt: „Wie unerwachsen.“
Eine Situation in der der Mann früher also vielleicht zugeschlagen hätte?
Ja, nur jetzt lässt der Mann Trauer oder Ohnmacht zu und tritt in Kontakt zum Partner. Früher hätte der Mann diese Ohnmacht aber weggeschlagen, die Ohnmacht an das Opfer übergeben. Jetzt aber verhält der Mann sich anders. Er grenzt sich durch Aggression ab und macht deutlich, dass es ihn als Mensch mit Gefühlen gibt.
Moment: Ich denke, der Mann soll eben nicht mehr aggressiv sein?
Aggression wird in unserem Ansatz klar von Gewalt unterschieden und ist auch keine Vorstufe der Gewalt. Ich verstehe Aggression in seiner ursprünglichen lateinischen Wortbedeutung. „Aggredere“ bedeutet an eine Sache herangehen. Durch Aggression macht man sich bemerkbar und sichtbar im Gegensatz zur hilflosen Gewalt. Man zeigt seine Emotionen und tritt mit dem Partner in Kontakt. In diesem Sinne fördert aggressives Verhalten den Dialog. Wohingegen Gewalt ihn beendet.
Wie wichtig ist die Freiwilligkeit in ihrem Ansatz?
Sehr wichtig. Zwang kann nicht funktionieren. Niemand verändert unter Zwang sein Verhalten. Es bringt nichts, wenn ein Mann vom Gericht oder seiner Frau hergeschickt wird, der Klient sich aber keines Problems bewusst ist. Ohne Bewusstsein und Freiwilligkeit geht nichts.
Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema
Aktiv im Thema
www.gewaltberatung-koeln.org | Beratung von Gewalttätern zum Ziel der Prävention und zum Abbau von Gewalt durch verändernde Täterarbeit
www.maennerberatungsnetz.de | Unabhängige Vernetzungsplattform existierender Notrufe, Beratungseinrichtungen und Schutzwohnungen, die von häuslicher Gewalt betroffenen Männern professionelle Hilfe anbieten
Thema im Dezember KINDERSEGEN
Kann denn nicht mal jemand an die Kinder denken?
Kinderarmut, Kindesmissbrauch, Kinderarbeit. Wie können wir Kinder in Deutschland und weltweit davor schützen? Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Zahlen
Es gibt Studien wie Sand am Meer (aber nur das Ausland hat Sand und Meer ;-)), die belegen, dass Frauen genau so aggressiv sind wie die Männer bei häuslicher Gewalt. Im Bild der Wissenschaft 8/2006 ist einer der wenigen Artikel in Deutschland zu finden ("Wenn Frauen zuschlagen"), die sich auf diese Studien aus dem Ausland beziehen: Die dort erwähnte Metastudie mit ca. 20000 befragten Frauen und Männer war eindeutig - bei Partnergewalt herrscht Gleichberechtigung.
Auch Herr Arlandt spricht von 10 bis 15% Frauen, die gewalttätig sind.
Es ist offensichtlich, dass in der Gesellschaft lediglich der Mann als Aggressor wahrgenommen wird: "Gewalttätig werden nicht Menschen, sondern Männer." stellt Herr Bernhard Krebs martialisch gleich in der ersten Frage fest.
Damit meine erste Frage:
Impliziert das, Herr Krebs, dass Männer keine Menschen sind?
Die zweite Frage:
Da evident ist, dass genau so viele Frauen wie Männer aggressiv sind, wo sind die Antiaggressionszentren für Frauen?
Mann darf nicht vergessen, dass Anders Breivik das Produkt einer gewalttätigen, alleinerziehenden Mutter war.
Ein extrem gut vorbereiteter Film
Stranger Than Fiction: „Fighter“ in der Filmpalette – Foyer 02/17
Männersache
So lange wir die Frage nach dem Tätergeschlecht nicht stellen, ändert sich nichts – THEMA 11/16 MÄNNERMACHT
Wenn ihr die Hand ausrutscht
Männer sind seltener Gewaltopfer, aber für die Betroffenen fehlen Anlaufstellen – Thema 11/16 Männermacht
„Viele Spiele haben noch einen sehr infantilen Touch“
Teil 1: Interview – Medienpädagoge Martin Geisler über Wandel in der Videospiel-Kultur
„Genießen der Ungewissheit“
Teil 2: Interview – Sportpädagoge Christian Gaum über das emotionale Erleben von Sportevents
„Ich muss keine Konsequenzen fürchten“
Teil 3: Interview – Spieleautor und Kulturpädagoge Marco Teubner über den Wert des Spielens
„Die Bürger vor globalen Bedrohungen schützen“
Teil 1: Interview – Politikwissenschaftler Oliver Treib über Aufgaben und Zukunft der Europäischen Union
„Mosaik der Perspektiven“
Teil 2: Interview – Miriam Bruns, Leiterin des Goethe-Instituts Budapest, über europäische Kultur
„Der Verkauf des Kaffees nach Europa ist gestoppt“
Teil 3: Interview – Sebastian Brandis, Sprecher der Stiftung Menschen für Menschen, über das EU-Lieferkettengesetz
„Tiefseebergbau ohne Regularien wäre ganz schlimm“
Teil 1: Interview – Meeresforscher Pedro Martinez Arbizu über ökologische Risiken des Tiefseebergbaus
„Wir müssen mit Fakten arbeiten“
Teil 2: Interview – Meeresbiologin Julia Schnetzer über Klimawandel und Wissensvermittlung
„Entweder flüchten oder sich anpassen“
Teil 3: Interview – Klimaphysiker Thomas Frölicher über ozeanisches Leben im Klimawandel
„Es liegt nicht am Gesetz, Kriminalität zu verhindern“
Teil 1: Interview – Kriminologe Dirk Baier über Gewaltkriminalität und Statistik
„Prüfen, ob das dem Menschen guttut“
Teil 2: Interview – Publizist Tanjev Schultz über ethische Aspekte der Berichterstattung über Kriminalfälle
„Eltern haben das Gefühl, sie müssten Buddhas werden“
Teil 3: Interview – Familienberaterin Nina Trepp über das Vermeiden von psychischer Gewalt in der Erziehung
„Ernährungsweisen verändern, ohne Zwang“
Teil 1: Interview – Tierethikerin Friederike Schmitz über vegane Ernährung
„Naturschutz wirkt“
Teil 2: Interview – Biologin Katrin Böhning-Gaese über Biodiversität, Wildtiere und Naturschutz
„Sie verstehen uns“
Teil 3: Interview – Tierhistorikerin Mieke Roscher über die Beziehung zwischen Menschen und Tieren
„Was nicht erlaubt ist: Druck ausüben“
Teil 1: Interview – Autor Sebastian Schoepp über Freundschaften
„Bin ich eifersüchtig oder eher neidisch?“
Teil 2: Interview – Paarberaterin Sonja Jüngling über sexuelle Kontakte außerhalb einer Paarbeziehung
„Mit dem ersten Kind nimmt die Ungleichheit zu“
Teil 3: Interview – Soziologe Kai-Olaf Maiwald über Ehe, Familie und Geschlechterverhältnisse
„Mehr Umsatz, mehr Gesundheit“
Teil 1: Interview – Unternehmer Martin Gaedt über die Vier-Tage-Woche
„Das kann man mit keiner Gerechtigkeitstheorie erklären“
Teil 2: Interview – Historiker Marc Buggeln über Steuerpolitik und finanzielle Ungleichheit in Deutschland
„Die Gesellschaft nimmt diese Ungleichheiten hin“
Teil 3: Interview – Soziologe Klaus Dörre über Armutsrisiken und Reichtumsverteilung
„Psychische Erkrankungen haben nichts mit Zusammenreißen zu tun“
Teil 1: Interview – Psychologe Jens Plag über Angststörungen