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Meist Täter, oft Opfer von Gewalt
Foto: Sabrina Didschuneit

Männersache

27. Oktober 2016

So lange wir die Frage nach dem Tätergeschlecht nicht stellen, ändert sich nichts – THEMA 11/16 MÄNNERMACHT

Ende Januar ersticht in Köln ein 21-jähriger Student kaltblütig seine Freundin mit 31 Messerstichen. Aus Kränkung. Die junge Frau hatte mit ihm Schluss gemacht und einen neuen Freund. Am Rande der Fußballeuropameisterschaft liefern sich Hooligans in Marseille blutige Prügeleien. Stühle fliegen und Flaschen zerbersten, auf dem Boden liegende Menschen werden getreten und die Polizei setzt Tränengas ein. Wenig später erschüttern Amoktäter in Nizza, Orlando und München die Welt, während mit Syrien ein ganzes Land geschlachtet wird. In ihrer Verschiedenheit ist diesen Momentaufnahmen aus 2016 eines gemeinsam: Akteure der genannten Gewalttaten sind Männer. Die Vorstellung, Frauen könnten die Täter sein, ist mühsam bis absurd. Opfer hingegen, kann jeder werden.

Bereits in Homers Schilderung des Trojanischen Krieges in der „Ilias“ – wohl der zentralste literarische Text Europas – ist Gewalt Männersache. „Von den insgesamt 300 Konfrontationen werden 170 detailliert geschildert“, heißt es in den Vorbemerkungen der Ilias-Neuübersetzung von Raoul Schrott. Und weiter: „Der Tod ereilt die Kämpfenden dabei stets ebenso grausam wie abrupt.“ Wie eh und je galt auch damals schon: „Über die vielen verwundeten, stöhnenden und sterbenden Krieger am Schlachtfeld schweigt das Epos.“ Allein die Kampfschilderungen machen gut ein Drittel des Textes aus. Frauen sind hingegen fast ausnahmslos Opfer. Gut, der schönen Helena fällt noch die zweifelhafte Ehre zu, in ihrer Opferrolle zugleich Kriegsgrund zu sein. In der Helena spiegelt sich die eigentliche Rolle der Frau wieder, wenn es um Gewalt geht: Sie ist Beute und somit Objekt männlicher Machtfantasien und -vorstellungen. Denn Helena wurde von Paris ihrem Ehemann Agamemnon geraubt. Worauf dieser die griechischen Heroen zusammentrommelte und gen Troja segelte, um die Stadt dem Erdboden gleich zu machen. Ruhm ereilt die Heroen indes nur, wenn sie Feinde töten, ihre Leichen schänden und die Frau des geschlagenen Feindes als Trophäe rauben.

Mit Homers Epos ist Männergewalt sozusagen in unsere kulturelle DNA eingeschrieben. (By the way: Die Ilias spielt, einem bösen Omen gleich, an der Schnittstelle europäischer und orientalischer Welt). Ein kulturelles Erbe, welches viel zu oft als natürlich begriffen wird. Die Reaktionen auf männliche Gewalteruptionen – ob an Silvester vor dem Kölner Hauptbahnhof oder die Einnahme eines jesidischen Dorfes durch Kämpfer des sogenannten Islamischen Staates – beinhalten jedenfalls nie die Frage nach dem Geschlecht der Täter. „Ist doch überall so“, heißt es dann lapidar. Nur, etwas als globales Problem auszumachen, kann natürlich auch heißen sich der Verantwortung zu entziehen. Lieber greifen wir tief in die Kiste der Rechtfertigungsstrategien für Gewalt: Mal geht es um Triebe und Hormone; dann ist es die Religion, die sich der rationalen Rekonstruktion von Männergewalt in den Weg stellt. Wieder ein anderes Mal geht es um Kultur und Bildung und um das Versagen der Kindergärten und Schulen im Vorleben verschiedener Männlichkeitsrollen. Und wenn gar nichts anderes mehr geht, ist es halt der Alkohol. Im jeweiligen Kontext können diese Gründe etwas dazu beitragen, ein Verhalten zu erklären – aber nie können sie es entschuldigen.

Der Begriff der „toxic masculinity“ beschreibt im Englischen eine Form von Männlichkeit, die auf Dominanz und Gewalt basiert und Empathie nicht zulässt. In den Begriff hinein spielt eine gigantische Ladung sexueller Triebhaftigkeit. Nur mit Anstrengung lässt die sich in zivilisierten Bahnen halten. Der Mythos, der Jungs und Männern immer wieder erzählt wird, dass ein richtiger Kerl nicht weint, eine ausschweifende und animalische Sexualität hat und alles, was sich ihm in den Weg stellt, eigenhändig beiseite räumen muss, holt uns (Frauen wie Männer) in Form von Gewalt immer wieder aufs Neue ein.

Würden wir diese Form von Männlichkeit thematisieren, wäre viel gewonnen. Denn dass sie weit verbreitet ist, sagt nichts über ihre Natürlichkeit aus. Bis vor wenigen Jahren galt es als gut, wenn Eltern oder Lehrer Kinder schlugen. Der Wert der Gewaltfreiheit in der Kindererziehung ist schlichtweg nicht mehr verhandelbar. Selbst die neuen Tabubrecher von rechts und die in ihrem Kielwasser schwimmenden Anhänger ewig gestriger Vorstellungen sind bisher nicht auf die Idee gekommen, die körperliche Züchtigung von Kindern wieder zu legalisieren. Das gilt übrigens unisono auch für Gewalt von Männern gegen Frauen.


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zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema

Aktiv im Thema

www.gewaltberatung-koeln.org | Beratung von Gewalttätern zum Ziel der Prävention und zum Abbau von Gewalt durch verändernde Täterarbeit
www.maennerberatungsnetz.de | Unabhängige Vernetzungsplattform existierender Notrufe, Beratungseinrichtungen und Schutzwohnungen, die von häuslicher Gewalt betroffenen Männern professionelle Hilfe anbieten

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Bernhard Krebs

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SandalTolk, 02.11.2016

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"Würden wir diese Form von Weiblichkeit thematisieren, wäre viel gewonnen. Denn dass sie weit verbreitet ist, sagt nichts über ihre Natürlichkeit aus."

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