„Ich bin rundum glücklich, für uns war es eine ganz tolle Sache, die uns so motiviert, dass wir alles daran setzen werden, eine Fortsetzung zu erleben“, sagt Bettina Fischer, die Leiterin des Literaturhaus Köln, nachdem sie wieder die Tradition der Lyrikfestivals in Köln aufnehmen konnte. Acht Jahre musste das Festival pausieren, nun konnte mit vereinten finanziellen Kräften dieses in Deutschland einmalige Festivalformat gestemmt werden, in Kooperation mit der Akademie der Künste der Welt, dem Rautenstrauch-Joest-Museum und der VHS Köln, gefördert von der Kunststiftung NRW. Über drei Tage hinweg hieß es in Kölns neufirmiertem Kulturquartier an vier Veranstaltungsorten hinter dem Neumarkt „Poetic Voices Africa – I sing a new freedom“. Das Motto des nigerianischen Booker Preisträgers Ben Okri beschrieb Christa Morgenrath vom Allerweltshaus als eine „neu zu erfindende Freiheit, die sich in einer veränderten Welt wieder formulieren muss“. Nicht nur in Afrika bleibt die einmal errungene Freiheit nicht unangetastet, wie die 14 Autoren zu berichten wussten.
Gleich am Eröffnungsabend im Rautenstrauch-Joest-Museum präsentierte sich die Lyrik als bodenständig, klar, verständlich und schön. Der erste Auftritt gehörte der Südafrikanerin Mbali Kgosidintsi, die den Winter und das Schreiben als fruchtbare Lebenspole pries, und schon schmolz das Publikum vor Begeisterung nur so dahin. Ben Okri trat in Mütze und weißem Hemd vors Mikrofon und rezitierte mit seiner wuchtigen Statur Gedichte über seine müde gearbeitete Mutter und den löwengleichen Vater.
Das Bild vom Löwen nahm Jazzmusiker Günter Baby Sommer gerne auf, der die Lyriker mit seinen Schlaginstrumenten durch den Abend begleitete. Ein heikles Arrangement, denn der lyrische Text braucht im Grunde keine musikalische Begleitung und auch keinen Dialog mit der Musik. Günter Baby Sommer versuchte dezent auf die Stimme der Autoren zu reagieren, und nach der Hälfte des Abends fand man auch tastend zu Kombinationen, in denen Wort und Klang einander ergänzten.
Dem von der Statur her eher zerbrechlich wirkenden Chirikure Chirikure aus Zimbabwe fiel hingegen die Rolle des scharfen politischen Kritikers zu, während der weiße Südafrikaner Charl-Pierre Naudé die Dimension eines historischen Afrikabildes entwarf. Durch seine Texte schneidet die Linie der Gewalt, vom belgischen Völkermord im Kongo bis zu den kolonialen Eroberungen Britanniensm, und Naudé erinnert daran, dass wir alle ursprünglich aus Afrika stammen.
Mit der zart schleifenden Stimme der Sächsin Ulrike Almut Sandig mischte sich in das afrikanische Quartett Deutsche Lyrik, die verspielt von Gespenstern und aufschlagenden Kastanien erzählte. Fünf spezielle Temperamente – das war das Geschenk ans Publikum. Ohne Pannen funktionierten die Einblendungen der übersetzten Texte. Und mit den einfühlsamen deutschen Stimmen von Azizè Flittner und Moderator Thomas Brückner bot sich die Möglichkeit, die Lyrik als eine literarische Form zu erleben, mit der wir zuhören können, wie sich das Denken und Fühlen bildet.
Alle Lesungen an den drei Tagen waren gut besucht, „und die Neugierde und Aufmerksamkeit füreinander war so groß, dass die Autoren zum Teil bis drei Uhr in der Nacht zusammengesessen haben“, berichtet Bettina Fischer. Sie hat schon unzählige Veranstaltungen für das Literaturhaus abgewickelt, „diese gehörte jedoch zum Eindrucksvollsten, was ich in meinen Jahren beim Literaturhaus erlebt habe“, sagt sie und denkt darüber nach, welchen Modus man finden kann, um den Austausch zwischen deutschen und afrikanischen Autoren in der Zukunft kontinuierlich zu organisieren.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Fragil gewebte Erinnerungen
„We are not carpets“ im RJM – Kunst 10/24
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Gestohlene, zerstörte Erinnerungen
„Artist Meets Archive“: Lebohang Kganye im RJM – kunst & gut 08/23
Die Sprache der Angst/Hoffnung
„Stimmen“ im RJM – Prolog 06/23
Die Utopie der Liebe
„Love? Eine Werkstatt“ im Rautenstrauch-Joest-Museum – Kunstwandel 02/23
Tauziehen um Kunst aus Afrika
RJM präsentierte eine Diskussion mit Kunsthistorikerin Bénedicte Savoy – Kunst 05/21
Vier Geschichten und ein Geheimnis
Intensive Sicht auf kulturgeschichtliche Objekte im Rautenstrauch-Joest-Museum – kunst & gut 11/20
Die Kunst des Widerstands
„Baustelle“ im Rautenstrauch-Joest-Museum – Kunst 02/20
Geschichten fürs Nirvana
Indische Miniaturen im RJM – Kunst 10/19
Knigge für Süßwasserzierfischliebhaber
Staatsgeschenke im RSJ – Kunst 07/19
Klima Mensch Umwelt
Folgen des Klimawandels im RJS – das Besondere 02/19
Leute machen Kleider
„Fast Fashion“ im RSJ: Studierende der ecosign präsentieren Projekte – Spezial 01/19
Doppelte Enthüllung
„Sputnik“ von Nikita Afanasjew – Literatur 12/24
Kampf den weißen Blättern
Zwischen (Auto-)Biografie und Zeitgeschichte – ComicKultur 12/24
Eine wahre Liebesgeschichte
Thomas Strässles „Fluchtnovelle“ – Textwelten 12/24
ABC-Architektur
„Buchstabenhausen“ von Jonas Tjäder und Maja Knochenhauer – Vorlesung 11/24
Übergänge leicht gemacht
„Tschüss und Kuss“ von Barbara Weber-Eisenmann – Vorlesung 11/24
Auch Frauen können Helden sein
„Die Frauen jenseits des Flusses“ von Kristin Hannah – Literatur 11/24
Comics über Comics
Originelle neue Graphic Novels – ComicKultur 11/24
Die zärtlichen Geister
„Wir Gespenster“ von Michael Kumpfmüller – Textwelten 11/24
Nachricht aus der Zukunft
„Deadline für den Journalismus?“ von Frank Überall – Literatur 10/24
Zurück zum Ursprung
„Indigene Menschen aus Nordamerika erzählen“ von Eldon Yellowhorn und Kathy Lowinger – Vorlesung 10/24
Eine Puppe auf Weltreise
„Post von Püppi – Eine Begegnung mit Franz Kafka“ von Bernadette Watts – Vorlesung 10/24
„Keine Angst vor einem Förderantrag!“
Gründungsmitglied André Patten über das zehnjährige Bestehen des Kölner Literaturvereins Land in Sicht – Interview 10/24
Risse in der Lüneburger Heide
„Von Norden rollt ein Donner“ von Markus Thielemann – Literatur 10/24