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Zoom-Gespräch mit Bénédicte Savoy
Bild: YouTube

Tauziehen um Kunst aus Afrika

05. Mai 2021

RJM präsentierte eine Diskussion mit Kunsthistorikerin Bénedicte Savoy – Kunst 05/21

Am Freitagabend, dem 23. April fand im Rahmen der Ausstellung „RESIST! Die Kunst des Widerstands“ ein Zoom-Interview mit der Museumsdirektorin des Rautenstrauch-Joest-Museums Nanette Snoep und der französischen Kunsthistorikern Bénedicte Savoy mit anschließender Fragerunde statt, die ihr neuestes Buch „Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage“ vorstellte und die Debatten zur Restitution von afrikanischen Kunstobjekten und die damit verbundenen Problematiken akribisch und detailliert aufzeigte. Savoy ist Expertin im Bereich Restitution und zeichnet in ihrem Buch den lange andauernden Kampf afrikanischer Länder um die Rückgabe in der Kolonialzeit geraubter Kunstwerke. „Restitution [ist] auch eine Form von antikolonialem Widerstand“, erklärte Nanette Snoep in einer Einführung.

Schon in den 1960ern bis in die 1980er Jahre wurden Debatten um die Rückführung von afrikanischen Kunstobjekten geführt, die aber letztlich doch in Ignoranz und Vermeiden oder gar Vergessen dieser Thematik mündeten. Viele Dokumente und Briefe bezeugen diesen Abwehrkampf europäischer Staaten, ebenso damalige Talkshows, Pressemitteilungen, Nachrichtensendungen und Dokumentarfilme. Damals waren Mittel wie die Nichtveröffentlichung von Objektlisten der Museen ein gängiges Vorgehen, denn „so würden Begehrlichkeiten erst geweckt“ bei den ursprünglichen Besitzern. Denn die Restitutionen sahen die europäischen Staaten insbesondere als Verlust für sie selber, auch wenn sie sich letztlich diese Kulturgüter unberechtigterweise angeeignet haben.


Sammlung Benin, Rautenstrauch-Joest-Museum: Teil des It’s Yours Raumes von Peju Layiwola, Foto: © Francis Oghuma

Restitutionsforderungen sind kein neues Phänomen

Nanette Snoep berichtete, dass tausende Kunstobjekte und königliche Artefakte 1897 insbesondere bei der sogenannten Strafexpedition in Benin in einem militärischen Gewaltakt „aus dem Benin-Königspalast“ geraubt und via London über die ganze Welt verteilt worden seien. Bénedicte Savoy suchte in ihrer Recherche nach Briefen, die die afrikanischen Länder an die Regierungen schickten, um ihre Kunstwerke zurück zu bekommen. Sie stieß insbesondere erst einmal auf die damaligen Berichterstattungen und Diskussionen im Fernsehen und den Zeitungen über die Restitutionsanfragen. Savoy und ihre Forscherkollegen gingen dieses Projekt auch auf Geheiß von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an, und bemerkten dabei: „Wir waren wie versteinert, weil wir bemerkt haben, okay, das Ganze, was wir glauben das erste Mal zu machen, diese Debatte – und das klingt so toll, junger Präsident Macron will das machen – hat es schon einmal komplett gegeben als wir kleine Schulkinder waren.“

Eine der wichtigsten Erkenntnisse bei der weiteren Auswertung der Funde um die Debatten sei gewesen, dass es „keine europäische Debatte war, sondern eine, die von Afrika aus nach Europa hereingetragen wurde“, so Savoy.

Zudem fand sie heraus, dass die ersten wichtigen Restitutionsforderungen aus Afrika selbst aus Dakar aus dem Jahre 1965 stammen; sie zogen sich über 20 Jahre hin, dennoch waren sie nicht die ersten. Schon Ende des 19. Jahrhunderts und in den 1930er Jahren erbaten erste Länder wie Angola ihre Kulturgüter zurück. Auch 1965 schrieb Paulin Joachim, Herausgeber des wichtigen Kulturmagazins Bingo, das im frankophonen Afrika und in der Diaspora sehr viel gelesen wurde: „Gebt uns unsere schwarze Kunst zurück.“ Denn „Kultur und kulturelle Güter sind Kraftnahrung“, die eine Nation nährt und sie bestärkt, wie er weiter beschrieb.

Joachim habe versucht die „glanzvolle Dialektik der Europäer“ hinsichtlich ihrer Aneignung fremder Kulturgüter, ihren Ausreden und dem Ablenken von Restitutionsforderungen zu entlarven, erklärt Savoy. Die Europäer hatten also schon frühzeitig den Auftrag, sich mit Restitutionen aus den Museen in die Heimatländer zu befassen, dennoch kamen Abwehrreaktionen insbesondere aus dem Museumsbereich, die die Forderungen verneint und aktiv vergessen gemacht hatten. Savoy wollte somit dieses Vorgehen aufzeigen und schrieb 2003 erstmals ein Buch zu diesem Thema, das bis dahin literarisch noch nicht beleuchtet wurde.

Bemühungen der afrikanischen Länder

„Selbst wenn ein Objekt zurückkehrt, bleibt die Verletzung. Das heißt, Restitutionen sind nicht da, um Verletzungen vergessen zu machen, sondern sie sind da, um Gerechtigkeit wiederherzustellen, aber auch vor allem, um die Zukunft zu gestalten.“ Savoy weiter: „Sie waren nicht größenwahnsinnig, sie wollten nicht alle Sammlungen und alles zurückhaben, sie wollten nur einige gezielte Objekte zurückhaben, die psychologisch, symbolisch, historisch wichtig sind. Und am Anfang war es sogar so, dass sie sie nur als Dauerleihgabe wollten. Es war bewusst einerseits, aber bescheiden im Sinne von, lass uns teilhaben an der Weltkultur. Wir sind ein Teil der Weltkultur, und wir wollen das bei uns auch zeigen können. Und das haben die europäischen Museen arrogant zurückgewiesen.“

Und dies, obwohl die Archivdokumente beweisen, dass es durchaus einen humanistischen Diskurs dazu gab, auch über einen Universalismus, der nicht nur in Europa ausgeübt werden sollte, sondern auch in anderen Teilen der Welt. Es war ein Diskurs, sagt Savoy, der auf der einen Seite intellektuell und humanistisch geführt worden sei, auf der europäischen Seite aber sehr kleinliche Züge an sich hatte und durch juristische oder auch teils sehr nationale Antworten mitgeteilt wurde. Ein Besitzrecht und die Legalität dieser entwendeten Kulturgüter wurden von den Europäern juristisch geltend gemacht und somit war eine Restitution von europäischer Seite nicht gewollt und sollte nicht stattfinden.

Museen als „Orte nationaler Behauptung“

Auch die politische Lage spielte eine gewichtige Rolle, z.B. damals in Westberlin, wo die Museumsdirektoren einen dramatischen Verlust und eine Niederlage gegenüber der DDR befürchteten. Aber nicht alle waren ausschließlich Gegner der Rückgaben: Das Auswärtige Amt setzte sich beispielsweise für Rückgaben ein, auch um gute Beziehungen zu ihren Partnern aufrechtzuerhalten, oder vereinzelte Politiker. Die Museumsdirektoren versuchten dennoch mit allen Mitteln sie zu verhindern: durch das Ignorieren von Briefen, durch eine Opferstilisierung ihrer selbst mit Verweis auf eigene Kriegsverluste, einer „Maulkorbpolitik“, dem Nichtbekanntmachen von Objekten oder dem vorgeschobenen Argument, sie hätten die Objekte legal auf dem englischen Kunstmarkt erworben.

Die Museen hätten sogar eine Art Memorandum verwendet, so Savoy, eine Gebrauchsanweisung, wie man am besten intransparent bezüglich der Museumssammlungen sei, die gut 500.000 Güter umfasste, um die „Begehrlichkeiten“ geringzuhalten. Heutzutage gibt es eine deutliche Tendenz zu mehr Transparenz und Digitalisierung, um die Bestände öffentlicher zu machen, wie beispielweise in den Niederlanden oder in Frankreich bereits geschehen.

Savoy führte im Gespräch auch an, dass es an den Museen hinsichtlich der Restitutionen zwar mehr Bemühungen gebe, aber auch immer noch eine Sorge um den eigenen Bestand. Man merke, dass die Museen letztlich im 19. Jahrhundert vor dem Hintergrund von internationalem Konkurrenzkampf „als Orte nationaler Behauptung“ entstanden sind: Jedes Museum wollte größer und bedeutender als das andere sein, und das zöge sich bis heute fort. Die verschiedenen Bedingungen wie der Föderalismus in Deutschland oder der Zentralismus in Frankreich bedingten auch den Umgang mit Restitutionen zusätzlich. In Deutschland zum Beispiel sei oft danach abgewägt worden, was das andere Bundesland machte, um eigene Entscheidungen aufzuschieben. Zudem konnte Savoy durch Briefe und andere Dokumente zeigen, dass in der Debatte um Restitutionen Frauen eher für Rückführungen waren und eine größere Empathie für einen Neuanfang der afrikanischen Staaten zeigten als viele Männer. Auch das Alter spielte oft eine Rolle, da Jüngere, auch Männer, eher dafür waren als die älteren Generationen.

Bénedicte Savoys Buch stellt eine Art Röntgenaufnahme dieser Debatte auch in der Gegenwart dar. Sie glaubt sehr „an die Macht der Zivilgesellschaft“, um diese Restitutionen weiter voranzubringen und für mehr Gerechtigkeit zu sorgen: Die Bestände sollten weiterhin transparenter gemacht werden, meint sie, und es sollte ermöglicht werden, Kunstobjekte wie die „Benin-Bronzen“ zurückzuführen und somit in ihrem „alten“ neuem Umfeld wieder zu resozialisieren. Denn die afrikanischen Museumdirektoren, Politiker und Intellektuellen würden sich weiterhin dafür einsetzen, sich nicht wieder demütigen zu lassen und ihre Bemühungen für eine faire Verteilung und Rückgabe der Güter nicht loszulassen.

RESIST! Die Kunst des Widerstands | bis 5.9. [vorübergehend geschlossen] | Rautenstrauch-Joest-Museum | rjm-resist.de

Marie Bönnen

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