Das Theater im Bauturm wagt sich an seine erste Oper! Und als solche hat sich Dramaturg René Michaelsen für keine andere als Verdis „La Traviata“ entschieden, das große Drama nach der Vorlage von Alexandre Dumas (d.J.) um die Edelprostituierte Violetta und ihren (aufrichtigen) Verehrer Alfredo, den Versuch zu Gunsten eines gemeinsamen Glücks aus den jeweiligen Rollen auszubrechen und das Scheitern – an der Gesellschaft und an der Schwindsucht, die Violetta am Ende dahinrafft. Ganz großes Opernkino also. Und das auf kleinem Raum und mit Matthias Buss (Marguerite nach der Roman-Vorlage), der zuletzt in seinem Trude-Herr-Programm überzeugte, sowie Regisseur und Schauspieler Sebastian Kreyer in der Rolle des Alfred sowie des Vaters.
Nicht ohne Grund heißt die Fassung, die am vergangenen Freitag Premiere feierte „La Traviata – oder: Doro, ich krieg keine Luft mehr (Letzte Worte Carusos an seine Ehefrau)“, denn Michaelsen und Kreyer übertragen Verdis Opernhandlung auf den bis heute auch noch vorhandenen Divenkult und lassen die Grenzen zwischen dem Geschehen auf und hinter der Bühne verschwimmen. Verdeutlicht wird dies zusätzlich durch Video-Einspielungen (Valerij Lisac), die in Ausschnitten Interviews mit großen Operndiven wie Jessye Norman, Christa Ludwig oder auch Brigitte Fassbaender einblenden.
Matthias Buss alias Marguerite entsteigt zu Beginn mit eckigen, roboterhaften Bewegungen dem Sarg, in den er sich auch zum Finale zurückzieht. Mit dem knallroten Abendkleid hat er auch die Rolle der Operndiva angezogen und lässt deutlich werden, wie sehr die Verletztheit der schwer kranken Violetta auch die Unsicherheit der Operndiva darstellt. Ähnlich geht es mit dem männlichen Hauptdarsteller Sebastian Kreyer in der Rolle des Alfred, der auf und hinter der Bühne den hoffnungslos Verliebten mimt. Die eigentliche Bühnensituation wird zusätzlich bestärkt durch den immer wieder ins Spiel gebrachten Orchestergraben, aus dem das strenge Klopfen des Taktstocks zu hören ist, wenn die Schauspieler zu sehr vom eigentlichen Thema abschweifen. Der Unterschied zwischen Oper und Realität macht sich auch musikalisch bemerkbar, wenn Buss und Kreyer mal ausgesprochen gelungen und mal bewusst verzerrt Auszüge aus Verdis Oper singen. Der Ansatz, der hinter dieser Fassung der Traviata steckt, ist absolut schlüssig, gelingt aber nur teilweise.
Gerade in der ersten Hälfte ist die Bauturm-Traviata häufig zum Schreien komisch, was nicht zuletzt an Matthias Buss liegt, der auch seine Marguerite eher wie eine Trude Herr darstellt – großartig, aber eben zum Lachen. Ob er nun seine Gymnastik macht oder einen verführerischen orientalischen Tanz vollführt – hier wird die Intention des Ganzen nicht deutlich. Spätestens bei einem erneuten Hustenanfall Marguerites schlägt die Stimmung um, was Buss auch hervorragend beherrscht, nur gerade in der sehr heiteren Stimmung des ersten Teils beim Publikum nicht ankommt. Es sind die stillen und nachdenklichen Momente, in denen er absolut überzeugt – mag die Aufmachung in dem Moment auch noch so albern wirken.
Eine weitere Frage stellt sich auch am Ende des Abends: Welche Zielgruppe will Michaelsen mit dieser Fassung der Traviata ansprechen? Da die Handlung nur sehr reduziert und immer wieder unterbrochen dargestellt wird, versteht man so gut wie nichts, kennt man nicht Verdis Fassung. Doch ob sich eingefleischte Opernfans von den teils schiefen Tönen und der in weiten Teilen sehr klamaukigen Fassung begeistern lassen, bleibt abzuwarten. Eine Premiere, die den Besucher ein wenig ratlos zurücklässt.
„La Traviata – oder: Doro, ich krieg keine Luft mehr (Letzte Worte Carusos an seine Ehefrau)“ | R: Sebastian Kreyer | 20., 29., 30.4. & 28., 29.5. 20 Uhr | Theater im Bauturm | 0221 52 42 42
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