Der Sekretär des Häusermaklers Knock, Thomas Hutter, reist nach Transsylvanien, um Graf Orlok ein Haus in seiner Heimatstadt Wisborg zu verkaufen. Dort angekommen muss Hutter jedoch mit Schrecken erkennen, in welches Unheil er da hineingeraten ist. Die Geschichte von „Nosferatu“, der Adaption von Bram Stokers „Dracula“, kennt heutzutage nahezu jeder. Der Film von 1921 gilt als einer der bedeutendsten Stummfilme überhaupt und ist Vorläufer zahlreicher Vampir- und Horrorfilme.
Am Mittwochabend wurde der Klassiker im BiOs-Saal der Rochuskirche gezeigt: Nur war es dort auch ohne Tonspur alles andere als still. Von Cembalo und Flügel bis zu Schlagwerk, Gongs und Live-Elektronik bot die Vorführung mit der eigens dafür angefertigten Musikfassung durch den Komponisten Wilfried Kaets ein Klangerlebnis, das die Zuschauer in ein Kino der Weimarer Republik zurückversetzte: authentische, altertümliche Musik, Bewegtbild mit Altersflecken – und im Hintergrund ein ratternder Filmprojektor. Der wurde von Joachim Steinigeweg bedient, Experte für Stummfilmtechnik. Für die Vorführung wurde extra eine wertvolle historische 16mm-Kinofassung aus dem Schatz des Deutschen Bundesarchivs beschafft.
„Wir zeigen den Film heute im historischen Format“, kündigt Kaets bei der Begrüßung an. Damit ist nicht nur die Geschwindigkeit gemeint. Der gesamte Film ist viragiert, also nachträglich in Farbbäder getaucht, um verschiedene Effekte zu erzeugen. Kaets erklärt, dass man zu der Zeit, als Friedrich Wilhelm Murnau bei „Nosferatu“ Regie geführt hat, nur bei Tageslicht filmen konnte. „Deshalb haben manche Nachtszenen einen starken Blaustich.“
Kaets bittet seinen Kollegen Norbert Krämer nach vorne, der Schlagwerk, Gongs und die Live-Elektronik bedienen wird. Dann geht es los. Erster Akt. Die Musiker beginnen leise und mit hellen Tonabfolgen und passen sich damit der unbedarften Art von Hutter an, der nicht an die Gefahren denkt, sondern an das Geld, das er beim Hausverkauf verdienen kann.
Reine Begleitung ist die Musik allerdings nicht. Im Gegensatz zu vielen modernen Verfilmungen steht sie immer im Vordergrund. Instrumente, Geschwindigkeit und Lautstärke tragen maßgeblich zur Handlung, aber auch zur Spannung des Films bei. Die traurige Szene, als Hutter seine Frau Ellen verlässt, wird erst richtig traurig durch Kaets Klavierspiel, das erst wieder auf Hutters Reisen anschwillt und dessen Wanderlust unterstreicht. Die Gongs von Krämer sind vor allem im Schloss des Grafen Orlok beheimatet, zudem sorgt Kaets durch Schlägeleinsatz innerhalb des Flügels für einen mystischen Klang, der unter die Haut geht. Mal klar auf eine Saite, mal durch Interferenzen erschafft Kaets gemeinsam mit den Gong- und Trommelschlägen von Krämer zum Teil fröhliche, aber vornehmlich gruselige Atmosphären, die auch mal ins Disharmonische gehen können.
Obwohl „Nosferatu“ ein Vorgänger des Horrorfilms ist und mit Max Schreck als Vampir einen furchteinflößenden Bösewicht bietet, wird im Publikum zuweilen gelacht. Das liegt vor allem an der zeitlichen Distanz und den ernst gemeinten Aussagen des Grafen, die heute aber eher lustig klingen: „Ihr habt euch wehgetan. Das kostbare Blut!“ Oder, als er zufällig ein Bild von Ellen erblickt: „Eure Frau hat einen schönen Hals.“ Dass Orlok am Ende nicht durch einen Kampf, sondern durch seinen eigenen Fehler stirbt, steht bezeichnend dafür, wie die Inszenierungen von damals zu den Actionstreifen von heute abweichen.
„Ich beschäftige mich seit über 30 Jahren mit Stummfilmen und habe schon rund 180 Vertonungen geschaffen“, erzählt Kaets nach der Veranstaltung. „Es ist einfach zu einer Leidenschaft geworden, der nicht viele nachgehen. Deshalb habe ich auch schon Konzerte auf der ganzen Welt gespielt.“ Von Chaplin bis Eisenstein habe er schon alles ausprobiert. Einen Besuch wert ist eine solche Vorstellung auf jeden Fall. Immer wieder spielt er in Kirchen und Sälen der Umgebung.
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