Wie neu und wandelbar Alte Musik sein kann, bewies das Kölner Fest für Alte Musik „Music My Love“ des Zamus, Zentrum für Alte Musik Köln. Es zeigte vorrangig Ensembles des Zamus und ließ sie an Orten auftreten, die „Köln ausmachen, die uns vertraut sind, an denen wir jeden Tag vorbeilaufen“, so Festivalleiter Christoph Spering. Nicht nur mit dem Musik-Marathon „Music My Love“, in dem die Zuschauer mittags vom Dom bis in die Nacht von Spielstätte zu Spielstätte pilgerten, zogen die Kuratoren eine Linie zwischen hochkarätiger Musik aus längst vergangenen Zeiten und der unausweichlichen Gegenwart, aus der wir auf sie schauen.
Mit den Konzerten „Permutations/Generations“ und „Wie durch einen Spiegel“ setzten die Kuratoren zwei besondere programmatische Akzente. Beide fanden in einem Kirchenraum statt, der aus seinem Kontext gehoben wurde. Für ersteres öffnete die evangelische Friedenskirche bei der Mülheimer Nacht ihre Türen und ließ zahlreiche szenenfremde Interessierte in den transformierten Raum strömen. Das Trio von Pablo Giw, dessen Vater Michael Niesemann sowie Philip Zoubek verlangte seinem Publikum eine sehr offene Interpretation des Begriffs Alte Musik ab. Einzige Vorgabe von Christoph Spering sei die Verwendung der Barockoboen gewesen, mit deren unverwechselbarem Klang Niesemann das Konzert eröffnete.
Ausgehend von einer Telemann-Suite brachen die drei Improvisationsvirtuosen in weite musikalische Gefilde auf. Die Musiker spielten raffiniert und experimentell mit dem Raum, nutzten elektronische Effekte auf Trompete und Saxophon, aber bedienten sich auch der akustischen Charakteristika des Raums, nicht zuletzt durch die Verwendung der frisch gebauten Orgel. Philip Zoubek wechselte fließend von Synthesizer auf Orgel, während auch Giw und Niesemann an verschiedenen Stellen ihre Spielposition änderten und so eine Dynamik in das Konzerterlebnis brachten. Trompete und Saxophon standen dem gewaltigen mechanischen Blasinstrument dabei in nichts nach. Alle drei erstrahlten kraftvoll den Raum, waren mal Verfolger, mal Verfolgte und verschmolzen zu einem einzelnen Organismus.
„Bei der Vorbereitung haben wir sehr viel mit Klängen im Raum experimentiert und versucht, die Klänge der anderen zu imitieren“, erklärt Pablo Giw. Trotz der vielseitigen Klangeigenschaften der Instrumente, die auch durch die vielen Extended Techniques von Giw und Niesemann zum Vorschein kamen, funktionierten die drei wie eine Schwarmintelligenz. In einer stetigen Fortbewegung, verdünnt und verdickt sich der Klang, schwillt an und nimmt ab, und das auf eine Weise, bei der der Impulsgeber nicht auszumachen ist. Dabei scheint der Raum selbst zum Instrument zu werden.
So auch im Museum Schnütgen, dessen romanischer Kirchenraum von Sankt Cäcilien eine einzigartige tragende Akustik aufwies. „Wie durch einen Spiegel“ durfte das Publikum des Ensembles Candens Lilium auf Alte Musik und historische Kunstfiguren schauen. In einem „Klangdialog zwischen Mittelalter und Heute“ setzten die Künstler Christine Mothes, Albrecht Maurer und Norbert Rodenkirchen Gesänge aus einem vergangenen Jahrtausend teilweise improvisierten, zeitgenössischen Kompositionen von Maurer und Rodenkirchen gegenüber. Der Kontrast gelingt – so gut, dass man sich fragt, ob es überhaupt ein Kontrast ist.
So fern sich die beiden Zeitebenen sind, so ähnlich ist doch die Umgangsweise mit dem musikalischen Material. Der Schritt zur Improvisation liegt nahe: „Die Gesänge wie Hildegard von Bingens 'O quam mirabilis est' sind oft einstimmig überliefert und sobald man es in dieser Instrumentierung spielt, ist es schon eine Improvisation”, erklärt Albert Maurer.
Um den verschmelzenden Klang im Raum perfekt zu machen, wenden sich die drei zum Finale ihrer Performance dem Publikum ab und bewegen sich sternförmig in verschiedene Richtungen. Eine neue Klangebene wird geöffnet, die musikalische Dynamik erlebt eine Verkörperung, die Aufmerksamkeit wendet sich zum Raum.
Das Festival setzt Musik und Raum in einen neuen Kontext und beweist, wie sowohl der Raum Kirche, aber auch die Epoche der Alten Musik in Bewegung bleiben. Nicht nur eignet sich die Akustik einmalig für die Musik dieser Zeit, die hauptsächlich in und für Kirchen geschrieben wurde, sondern erreicht die Spielstätte ein Heraustreten aus dem Getummel und ein Eintreten in eine Zeitlosigkeit. Dabei erlaubt der Kontext, den Kirchenraum selbst wie ein Museum zu verstehen, das man mit Vorsicht und einem geschärften Auge erlebt.
Auch das Publikum für Alte Musik ist im Wandel. Bei diesen Konzerten ganz buchstäblich, denn hier wurde Publikum, wer nicht zwangsläufig über die Kanäle des Zamus auf die Konzerte gestoßen ist, sondern zu einem Museumsbesuch oder einem Spaziergang in der Mülheimer Nacht aus dem Haus gegangen ist. Es entstand der Effekt, dass die Zuhörer Raum und Musik mit einem ehrfürchtigen Respekt begegneten, dies aber in einer von der Veranstaltung ausgehenden, einladenden Zwanglosigkeit.
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