Unter der Woche wurden die Veranstaltungen des Kölner Fests für Alte Musik etwas kleiner, gleichwohl gab es einiges zu entdecken oder wiederzuentdecken. Am Montag etwa war das einstündige Programm „Wunderzeichen“ des auf Musik vor 1600 spezialisierten Kölner Streichorchesters Exquisite Noyse zu hören. Es entführte im Sancta-Clara-Keller, einem Klostergewölbe aus dem 14. Jahrhundert, in eine Zeit, in der Geistliche glaubten, dass Kometen und andere Himmelserscheinungen Warnzeichen Gottes seien, der, wenn ihm etwas nicht so gut gefiel, jederzeit den Weltuntergang einleiten konnte. Sängerin Cora Schmeiser las aus Originaltexten und sang bei reduzierter, dramatischer Beleuchtung auf Deutsch, Italienisch und Lateinisch, daneben wurden aber auch Instrumentalstücke gespielt. Die Auswahl kreiste um das Jüngste Gericht, den 51. Psalm und die Abkehr von der Sünde. Im Vergleich zu den Barockkonzerten der beiden Vortage waren diese älteren Kompositionen, etwa eine Instrumentalbearbeitung von Miserere des Franzosen Josquin des Prez (ca. 1503) oder Orlando di Lassos „Infelix ego“ (1565), direkter und einfacher. Die Möglichkeiten der Streichinstrumente, die zu der Zeit erst am Entstehen waren, wurden dabei natürlich noch nicht voll ausgereizt. Manche der Stücke hatten ihre beste Zeit schon hinter sich, aber jeder, den Mittelalter und Renaissance faszinieren, kam auf seine Kosten. Sehr viel Publikum war allerdings nicht gekommen – vermutlich hatten besonders suizidgefährdete Menschen sich die Veranstaltung nicht zugetraut. Sie haben aber auch ihre Chance auf Seelenreinigung verpasst.
Am Donnerstagabend hatte man Gäste aus der Schweiz in der Friedenskirche Ehrenfeld: Das Ensemble Voces Suaves aus Basel, wo es die Schola Cantorum Basilensis gibt, trug Madrigale (Singgedichte) von Monteverdi (1567-1643) vor. Die 2012 gegründete Gruppe besteht aus einer jungen Riege von vier Sängern und drei Sopranistinnen – eine fehlte allerdings – und wurde von einem befreundeten Orchester an alten Instrumenten begleitet, unter der Leitung von Johannes Strobl am Cembalo. Nach der „Greatest Hits“-Ausgabe des Festes 2017 durften in diesem Jahr guten Gewissens weniger bekannte Stücke gespielt werden, die zum Thema „Krieg und Frieden“ passten oder sich im Falle von Monteverdi angeblich mit „Krieg in der Liebe“ befassten. Die vom Ensemble getätigte Auswahl umfasste jedenfalls Stücke aus unterschiedlichen Madrigalbüchern Monteverdis und gab einen etwa vierzig Jahre umfassenden Einblick in die Entwicklung seiner Vokalwerke. Teilweise Vertonungen von Gedichten anderer, wurden sie mit der Zeit komplexer und arbeiteten zunehmend polyphonisch, mit eigenständigeren Solostimmen. Das Schöne an den Kompositionen, die dann zunehmend nach Barock klingen, ist das laufend variierende, ergänzende Zusammenspiel der Stimmen, die neben den Instrumenten das Spektrum von Sopran bis Bass abdecken. Die kurzen, emotional aufgeladenen Texte werden nicht linear abgesungen, sondern beim Singen sozusagen erst richtig erlebt und kontrapunktisch nach variierenden Verfahren wiederholt. Die Besetzung wechselt, immer wieder haben mehrere Sänger und Instrumentalisten Pause oder erhalten neue Rollen.
Man darf sagen, dass die Frauen an diesem Abend einen besonders starken Eindruck hinterließen, neben Violistin Regula Keller die beiden Sopranistinnen Lia Andres und Christina Boner-Sutter, die für „Chiome d’oro“ und „Ohimè, dovè il mi oben“ auch als Duo auftraten. Die männlichen Instrumentalisten wirkten konzentriert und routiniert, wobei Regula Keller und Cosimo Stawiarski an den Violinen bei Sonaten von Monteverdis Zeitgenossen Francesco Turini besonders glänzen konnten. Bei den Sängern gab es auch sehr schöne Stimmen, die Stücke wurden gut beherrscht und meistens dramatisch, wo nicht gar (wie vom Komponisten vorgeschrieben) darstellend vorgetragen. Beim Madrigal „Gira il nemico“, in Tradition der Commedia dell’arte geschrieben, schienen die in schwarzen Anzügen angetretenen Sänger zu den Comedian Harmonists zu werden, man hätte nur noch die Instrumente weglassen müssen. Die Akustik der Kirche erzeugte, wo von den Sängern und Sängerinnen gewollt, eine Allgegenwart der stärkeren Stimmen, erschwerte aber auch etwas das Verständnis, ließ wenig vom Cembalo übrig und brachte für die schnelleren Stücke zu viel Hall mit sich. Man fragt sich, ob nicht-sakrale Musik aus der Zeit nicht besser in anderen Räumlichkeiten zur Wirkung kommt, ist doch die Assoziation von Kirche und Barock in den Köpfen schon stark genug. – Als Zugabe erklatschte sich das zufriedene Publikum ein schönes „Lidia, spina del mio cure“ aus den „Scherzi musicali“.
Am Freitag ging es im Neuen Kunstverein ins 19. und frühe 20. Jahrhundert. Beim Fest für Alte Musik unter Thomas Höft gelten die traditionellen Zeitgrenzen ausdrücklich nicht, sondern auf die Annäherung an den historischen Originalklang kommt es ihm an. Mit virtuosen Klavierstücken beschwor die 1986 in Moskau geborene Olga Pashchenko an einem Blüthner-Flügel von 1900 Krieg, Leid und Trauer sowie ein bisschen Frieden herauf, beginnend mit der zehnminütigen Elegie „Funerailles“ von Lizst, einer eindrucksvollen vierteiligen Komposition zur Erinnerung an die blutige Niederschlagung der Ungarischen Revolution 1848 durch die Habsburger. Auf „Miserere, d’après Palestrina“ und den „Consolations“ 1 & 2 folgte Ravels Suite „Le Tombeau de Couperin“ mit sechs Sätzen, von denen jeder einem gefallenen Kameraden gewidmet ist – er selbst diente 1916 als Sanitätsfahrer, wurde verwundet und ausgemustert. Eine direkte Beziehung zum Krieg und den Gefallenen ist nicht belegt, sondern nur, dass Ravel hier nach seiner Heimkehr einen zuvor gefassten Plan einer „Suite Francaise“ durchführte, auf den Spuren von Couperin und Rameau und den Tänzen ihrer Zeit. Da die Franzosen im Krieg andere Probleme hatten, passte diese Musik thematisch nur indirekt in den Abend, als Sehnsucht nach besseren Zeiten. Zudem kann man an einigen Stellen meinen, dass innerhalb des größeren Plans, wo es passte, Trauer und Erinnerungen verarbeitet wurden oder auch einige Schrecken. Das Menuett (V. Satz) war besonders rührend, bevor das schwierige Finale zur Pause Anlass gab.
Die zweite Hälfte begann mit Nikolaj Medtners Kriegssonate (Sonata a minor op.30) von 1914 sowie seiner Canzona matinata und der unglaublichen Sonata tragica (1918-20), die zusammen etwas von den Umwälzungen in Russland erzählten. Der in Deutschland nicht oft zu hörende Komponist – es gibt wirklich Einfacheres – studierte wie Olga Pashchenko am Moskauer Tschaikowsky-Konservatorium Klavier und war an diesem Abend ein besonderes Geschenk. Pashchenkos Spiel war auch hier über jeden Zweifel erhaben; sie interpretierte überzeugend die Stimmungen, nahm jedes Detail mit und schaffte es ohne Kompromisse durch besonders schwierige Passagen. Nach der tragischen Sonate wirkte sie reif für eine weitere Pause. Stattdessen holte sie die Noten zu Alexanders Skrjabins formell sehr freie und ekstatische Klaviersonate Nr. 4 (1903) auf ihr Tablet und spielte sie als „Ausblick auf die Möglichkeiten der russischen Avantgarde“ (Programm) vor Krieg und Revolution. Ein würdiger Abschluss, wiederum mit Bezug zum Moskauer Konservatorium. Als Zugabe spielte sie Bachs „Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ“, arrangiert von Busoni. Das Konzert wurde aufgezeichnet, es ist am 1. Mai um 20:04 Uhr im Anschluss an ein halbstündiges Foyer im WDR 3 zu hören.
In den nächsten Tagen gibt es u.a. noch ein Programm rund um Lady Hamilton mit Musik und Lesung (auch im Livestream am 21.3.), ein persisch-barockes Crossover mit der Cembalo-Entdeckung Jean Rondeau (22.3.), Barockmusik mit den Kölner Vokalsolisten und dem Cölner Barockorchester (23.3.), eine Variante von „Tristan und Isolde“ (23.3.) und das Ukulele Orchestra of Great Britain zusammen mit Theatre of the Ayre (25.3.).
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