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„Faustrecht der Freiheit“
Foto: Meyer Originals

Reichtum aus der Keksdose

29. November 2012

Fassbinders „Faustrecht der Freiheit“ im FWT – Theater am Rhein 12/12

Drei Wörter sind mit Kreide auf den Bühnenboden geschrieben: „Ich“, „zwei“ und „Gefühl“. Im Lauf des Abends wird daraus ein ganzer Satz. Die Schauspieler ergänzen nach und nach, was fehlt. Und dann steht da ein Zitat von Rainer Werner Fassbinder, das von Verzweiflung als emotionaler Konstante spricht: grammatikalisch richtig, ohne Fehler, ohne Brüche – und genauso tritt dem Besucher die Inszenierung von Ulrich Hub gegenüber.

Fassbinders Film „Faustrecht der Freiheit“ erzählt die simple Geschichte des proletarischen Schaustellers Franz Biberkopf, der nach einem Lottogewinn in die Kreise reicher Mittelklasse-Schwuler gerät und von ihnen ausgenommen wird. Er bezahlt nicht nur die Wohnung für sich und seinen Freund Eugen, er rettet auch die Firma von dessen Vater. Als Franz pleite ist, wird er fallengelassen und endet im Selbstmord. Fassbinders Film ist mehr als ein tragisches Untergangsszenario, das die Zerstörung einer Liebe im Schraubstock von Ökonomie und Klassengegensätzen vorführt. „Faustrecht der Freiheit“ hat Märchenhaftes, Schärfe, Komik, Melodramatik und ist artifiziell zugleich. Im Freien Werkstatt Theater sieht man das Drama dagegen als von allen Widersprüchen gereinigtes Konversationsstück. Till Brinkmann in Jeans und Weste sitzt wie ein Kind am Boden mit seiner Gelddose und lässt sich über den Kopf streicheln; er gibt den gut gelaunten und gutgläubigen Lover, doch weder nimmt man ihm den Proleten von der Kirmes ab, noch die emotionale Ausbeutung. Franz’ Geliebter Eugen bekommt durch Marius Bechen zwar den Stempel eines blasiert-cleveren Schöngeists, der die kulturelle Arroganz der Mittelschicht wie einen Panzer vor sich herträgt. Seine emotionale Kälte ist allerdings ziemlich weichgespült und das gilt auch für Tomasso Tessitori als Antiquitätenhändler Max oder Klaus Wildermuth als Eugens Unternehmervater.
Allerdings macht es Ulrich Hub seinen Darstellern auch nicht leicht, die auf der weitgehend leeren Bühne, auf der nur eine Blumenvase, ein paar Bretter und der Schriftzug des Titels stehen, die Situationen immer wieder neu herstellen müssen. Die Inszenierung erreicht nur selten die bissige Schärfe des Films, sondern spult das Drama eher routiniert herunter. Von der Verzweiflung in Fassbinders Zitat ist nichts zu spüren.

„Faustrecht der Freiheit“ nach Rainer Werner Fassbinder | R: Ulrich Hub | Freies Werkstatt Theater | 13./14./21./22./28./29.12., 20 Uhr | www.freies-werkstatt-theater.de

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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