Dass Präsident Walter durchaus Jeff Bezos ähnelt, dürfte Zufall sein. Der Schauspieler Wilhelm Eilers ist eben der Typ glatzköpfig-alerter Businessman. In Simon Solbergs Inszenierung aber steht er zudem noch einem Unternehmen namens Amazon.as vor. Walter residiert auf einer kleinen Galerie mit Schreibtisch, Flokati und antikem Stuhl, während im ebenerdigen Warenlager die Angestellten schuften – nach Logistik-, nicht Versandhandelstarif, wie wir aus der aktuellen Tarifauseinandersetzung wissen. Dieser aktualistische Hingucker übersetzt die klassenüberschreitende Liebe zwischen dem adeligen Ferdinand und der bürgerlichen Luise Miller ins knallig Soziale und lässt Luises allein erziehende Mutter (Vater Miller ist genauso gestrichen wie Hofmarschall v. Kalb) und die acht Statisten für einen Hungerlohn schuften. Ein solches Warenlager gebiert zwangsläufig fatale utopische Träume. Vor allem bei Ferdinand: Erst klimpert er am Flügel, dann bemalt er sich den Körper mit Lehm, schwingt Schwert und Liane, imaginiert sich Urwälder und Floß herbei, irgendwo zwischen gutem Wilden, Tarzan und Peter Pan. Luise (Annika Schilling) lässt sich von diesem Discount-Rousseauismus anstecken, nachdem sie wie Kai aus der Kiste geschossen kommt. Liebe mag immer weltfremd sein, hier ist sie vor allem eins: kindlich-naiv bis dumm.
Solberg lässt nichts aus und das in mehrfachem Sinne: Er bedient Schiller und den „Kabale“-Plot und er bedient sich an allem was das Hier und Heute an einfachen Verweisen hergibt. Und das klappt verblüffend gut, sogar als kritisches Verfahren. Unser aller Lieblingsfigur ist bekanntlich Lady Milford, die Hure mit Herz und noch mehr Verstand. Doch Sabine Weibel, die auch Luises Mutter spielt, dividiert sie gnadenlos zur lasziven Möchtegern Diva im schwarzen Pelz, später Silberlamékleid herunter, dazu gibt es Bilder vom Hamburger Hafen, vom Eroscenter und dann castet die Lady auch noch die brave Luise für ihre Modelshow. Solberg kennt kein Pardon, er schneidet die Szenen extrem kurz, putscht sie auf und unterlegt alles mit Musik: Man mag das als anbiedernd empfinden („Kabale und Liebe“ ist Abiturstoff), aber Schiller zählte als Jungautor 1784 schließlich selbst zum Sturm und Drang. Und wenn ein Klassiker das nicht aushält, dann ist er keiner.
„Kabale und Liebe“ | R: Simon Solberg | 5., 8., 9., 12., 18., 22.2. 19.30 Uhr | Schauspiel Köln | Infos: 0221 221 28400
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