Die Angst ist zurück. Dieses urdeutsche Gefühl, und linguistischer Exportschlager, der Eingang in die Sprachen der Welt hielt. Im anglo-amerikanischen Sprachraum ist „German Angst“ mindestens so bekannt, wie Benz, German Bier oder die Bleispritzprodukte von Heckler und Koch. Anders als die Furcht, die sich konkret auf Spinnen, hohe Höhen, Gespenster oder den Schuss vom Elfmeterpunkt richtet, dreht sich die Angst um nichts als das Nichts. Angst ist diffus und gilt als schlechter Ratgeber. Aber davon später mehr.
Sehen Briten und Amerikaner das Projekt Zukunft eher als eine Herausforderung, begreifen Deutschen sie „angst-ridden“ als Ungewissheit. Verstörende Ereignisse, wie die Anschläge von Paris, Istanbul, Brüssel oder auch die Übergriffe in der Kölner Silvesternacht lassen aber ganz Europa dieses Unbehagen an der Ungewissheit spüren, die die Angst macht.
Nur, wenn wir uns von unseren Angsthormonen leiten lassen, dann erweisen wir unserem Erbgut Referenz. Der Frühmensch, der sich furchtlos abends in seine Höhle zurückzog, ohne sich vor Gefahren zu wappnen, konnte seine Gene sicherlich nicht weitergeben. Nur die schlauen Urahnen, die keine Angst vor ihrer Angst hatten, wurden nicht gefressen. Ohne Angst hätte es wohl auch nicht den Griff zu einem Stück Holzkohle gegeben um die kargen Steinwände der Höhle mit Malerei zu verzieren. Spätestens seit Sigmund Freud wissen wir, dass Kulturleistungen weniger aus Lebenslust, denn aus Todesfurcht entstehen.
Angst kann also grundsätzlich ein vernünftiger Mechanismus sein. Problematisch wird es hingegen, wenn Angst generalisiert wird. Wenn die als Krise wahrgenommene Zeit mit den vielen einzelnen Flüchtlingen, begrifflich zur „Flüchtlingskrise“ amalgamiert. Nur, die Flüchtlinge verursachen keine Krise. Sie stellen vielmehr eine der eingangs erwähnten Herausforderungen dar, die nüchtern betrachtet leicht zu schultern wäre. Die politisch noch Zurechnungsfähigen in diesem Land blickten deshalb ängstlich auf die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Zu Recht, wie sich am Abend des 13. März herausstellte. Die Alternative für Deutschland (AfD) war mit zweistelligen Prozentzahlen in alle drei Landtage eingezogen. Dabei verdankte sie ihren Erfolg der verbreiteten inneren Haltung: „Sollen die doch ersaufen, Hauptsache die Turnhalle bleibt offen.“ Selbst die Schießbefehl-Parolen haben der Partei nicht geschadet. Im Gegenteil, die Umfragewerte stiegen anschließend sogar noch.
Motor des AfD-Erfolgs, so hieß es in den politischen Kommentaren, sei die zugespitzte asylpolitische Polarisierung in der Bevölkerung. „Dramatische Ereignisse wie die Terroranschläge von Paris oder die eskalierenden außenpolitischen Konflikte um das europäische Grenzregime spielten der Partei dabei in die Hände“, heißt es in einer Publikation der Otto-Brenner-Stiftung, die den Aufstieg der AfD in Umfragen bereits im Januar analysierte.
Die Rechtspopulisten verstanden es blendend, Ängste, Befürchtungen und Ressentiments parteipolitisch zu kanalisieren und in Wählerstimmen umzumünzen. Besonders bitter ist der Befund, dass die AfD vor allem von jenen Gewählt wurde, die vormals zur sozialdemokratischen Kernklientel gehörten, diese aber spätestens seit Schröders Agenda-Politik nicht mehr wählten. Die AfD verstand es, den Zukurzgekommenen und den Verlustängstlichen die Flüchtlinge als Sündenbock anzubieten. Unter Arbeitern und Arbeitslosen erzielte die AfD in allen drei Bundesländern herausragende Ergebnisse: In Sachsen-Anhalt wählte über ein Drittel von ihnen die AfD, in Baden-Württemberg annähernd 30 Prozent.
Aber greifen die Erklärungsversuche, Arbeiter und Arbeitslose wählten allein wegen ihrer Abstiegsängste rechts, nicht zu kurz? Hat es die AfD nicht vielmehr verstanden, das rassistische Biest, das in der deutschen Arbeiter- und Mittelschicht immer schon schlummerte, von der SPD aber domestiziert worden war, wieder von der Kette zu lassen? Denn in einem sind sich alle Kommentatoren einig: Ohne Flüchtlinge, hätte es keinen AfD-Erfolg gegeben.
Kommen wir zurück zur Angst, von der es heißt, sie sei ein schlechter Ratgeber. Für Arbeiter und Arbeitslose, die die AfD gewählt haben, gilt das auf jeden Fall. Von sozialpolitischen Segnungen findet sich im Programmentwurf der AfD nämlich keine Spur. Vielmehr strotzt er vor Marktradikalität. Von der Privatisierung der Arbeitslosenversicherung bis zur Abschaffung der staatlichen Unfallversicherung reichen die Forderungen, die eher Ausbeuterherzen höherschlagen lassen. Der Rest des Entwurfs ist Unbehagen an der Moderne und politische Nostalgie: traditionelle Familie, Schluss mit dem Genderwahnsinn, zurück zum Atomstrom, freie Fahrt für freie Bürger… Hätte die AfD hiermit keinen Erfolg, es wäre zum Lachen, statt zum Fürchten.
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