Der französische Künstler Jacques Tardi hat sich in den letzten Jahren vermehrt den Gräueln der Weltkriege gewidmet. Aber auch Romanadaptionen gehören zu seinem Spätwerk. Mitunter arbeitet er auch exklusiv mit Autoren zusammen. Ein frühes Beispiel ist „Hier Selbst“ aus dem Jahr 1979, das zum 35-jährigen Jubiläum der Edition Moderne in einer Neuauflage erscheint. Das mit knapp 200 Seiten recht opulente, großformatige Werk besticht durch die surreale Kapitalismuskritik von Jean-Claude Forest und Tardis wunderbar eigenwilligen Schwarzweiß-Zeichnungen, die ihn schon hier unverwechselbar machen. Absurder Humor entfaltet sich von selbst in der Story um den ehemaligen Großgrundbesitzer Arthur Selbst, dem nur noch die Mauern zwischen den im Erbschaftsstreit entstandenen Kleinparzellen geblieben sind, auf denen er wohnt, und zwischen den Toren, die er gegen Wegzoll öffnet, wandert. Grandios!
Mehr Schwarz als Weiß zeichnet die Grafik der libanesischen Künstlerin Zeina Abirached aus: In virtuosem Stil erzählt sie in „Piano Oriental“ die Geschichte ihres Großvaters, der ein Klavier mit dem orientalischen Vierton der arabischen Musik konstruiert hat. Dessen Geschichte verknüpft die in Frankreich lebende Zeichnerin mit ihrer eigenen Migration. Die sehr geometrischen und ornamentalen Bilder sind beeindruckend. Und auch wenn man mitunter den Eindruck hat, sie erdrücken die Geschichte ein wenig, spürt man auch Abiracheds erzählerische Qualitäten auf jeder einzelnen Seite (Avant Verlag). Das muss doch irgendwie am Land liegen, dass dort misanthropische Strips wie „Dickie“ oder „Kinky & Cosy“ besonders gut gedeihen. „Cowboy Henk“ ist eine ältere belgische Reihe dieser Gattung. Anfang der 80er Jahre von Herr Seele und Kamagurka erdacht, erschienen die Strips sogar schon in Art Spiegelmans „Raw“. Die Titelfigur besticht gleichermaßen durch Unbekümmertheit und Naivität, guten Vorsatz und Brutalität. Grenzwertig ist der Humor indes immer (Edition Moderne).
Gerade ist Tim Burtons Adaption von Ransom Riggs Roman „Die Insel der besonderen Kinder“ in den Kinos gestartet, da erscheint auch die 2013 entstandene Comicadaption von Cassandra Jean auf Deutsch. Die Geschichte um Kinder mit besonderen Fähigkeiten, die in einer Zeitschleifendiaspora leben, bedient alle Topoi zwischen Superhelden- und Grusel-Genre, von der Ausgrenzung des Andersartigen über den Wunsch der Einzigartigen nach Gemeinschaft bis hin zum Shoah-Subtext. Jean erzählt mit leichtem Hang zum Manga, setzt Farbe erzählerisch ein und erhält sowohl die Spannung als auch die Zärtlichkeit der Vorlage. Burtons Umsetzung gefällt Riggs wohl, den Comic aber liebt er (Carlsen).
Auch Vielschreiber Dietmar Dath, Romanautor, Theoretiker und Journalist, widmet sich ganz im Gegensatz zu seinen meist umfangreichen Romanen im Rahmen der Reclam-Reihe „100 Seiten“ kurz und knapp dem Thema „Superhelden“. Mit dem persönlichen Gestus, den man von ihm kennt, taucht er ein in die Geschichte der Superhelden, erzählt, was sie ihm als Kind bedeuteten und heute noch bedeuten und verallgemeinert sein Erleben zu einer Theorie, in der Superhelden eine wichtige psychologische und soziale Funktion in der Popkultur und nicht zuletzt im Leben der Rezipienten einnehmen. Kurzweilig geschrieben und dennoch sehr tiefgründig, liefert Dath eine Analyse des Genres sowie Interpretationen einzelner Figuren und Werke – gut unterfüttert mit detailliertem Faktenwissen.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Aufwändige Abschlüsse
Comics, die spannend Geschichten zu Ende bringen – ComicKultur 02/25
Massenhaft Meisterschaft
Neue Comics von alten Hasen – ComicKultur 01/25
Kampf den weißen Blättern
Zwischen (Auto-)Biografie und Zeitgeschichte – ComicKultur 12/24
Comics über Comics
Originelle neue Graphic Novels – ComicKultur 11/24
Krawall und Remmidemmi
Begehren und Aufbegehren im Comic – ComicKultur 10/24
Ein Quäntchen Zuversicht
Düstere, bedrohliche Welten mit kleinem Hoffnungsschimmer – ComicKultur 09/24
Kunst leben, Kunst töten
(Auto-)Biografische Comics bleiben ein großer Trend – ComicKultur 08/24
Repetitive Einsamkeit
Comics aus der (inneren) Isolation – ComicKultur 07/24
Allzu menschlicher Sternenkrieg
Annäherungen an Philosoph:innen und Filmemacher:innen – ComicKultur 06/24
Von Kant bis in die Unterwelt
Zarte und harte Comicgeschichten – ComicKultur 05/24
Female (Comic-)Future
Comics mit widerspenstigen Frauenfiguren – ComicKultur 04/24
Spurensuche
Comics zwischen Wirklichkeit, Fantasie und Spektakel – ComicKultur 03/24
Wem gehört Anne Frank?
„Immer wenn ich dieses Lied höre“ von Lola Lafon – Literatur 02/25
Schrecklich komisch
Tove Ditlevsens Roman „Vilhelms Zimmer“ – Textwelten 02/25
Unsichtbare Krankheiten
„Gibt es Pflaster für die Seele?“ von Dagmar Geisler – Vorlesung 01/25
Gespräch über die Liebe
„In einem Zug“ von Daniel Glattauer – Textwelten 01/25
Mit KI aus der Zwangslage
„Täuschend echt“ von Charles Lewinsky – Literatur 01/25
Doppelte Enthüllung
„Sputnik“ von Nikita Afanasjew – Literatur 12/24
Eine wahre Liebesgeschichte
Thomas Strässles „Fluchtnovelle“ – Textwelten 12/24
ABC-Architektur
„Buchstabenhausen“ von Jonas Tjäder und Maja Knochenhauer – Vorlesung 11/24
Übergänge leicht gemacht
„Tschüss und Kuss“ von Barbara Weber-Eisenmann – Vorlesung 11/24