7.700 Live-Musik-Veranstaltungen mit 10.000 Künstlern und 3,87 Millionen Besuchern im Jahr bringen 55 Millionen Euro direkten Umsatz plus Folgeumsätze in Läden, Restaurants oder Hotels: Die Popkultur wird in Köln kulturell und wirtschaftlich unterschätzt. Am Freitag stellte die Klubkomm, der Interessenverband der Kölner Clubs und Veranstalter im Rahmen der c/o pop die Ergebnisse der Studie „Kölner Club- und Veranstalterszene“ bei brütender Hitze im Gebäude der IHK vor. Sie wurde anhand anonymisierter Fragebögen durchgeführt von Heiko Rühl vom Institut für Soziologie und Sozialpsychologie. „Viele wissen es nicht“, so Klubkomm-Pressesprecher Martin Steuer über die Bedeutung der popkulturellen Live-Szene für Köln.
Konzept zur Popkulturförderung
Auch die finanziell beteiligte Industrie- und Handelskammer, vertreten durch Dr. Ulrich Soénius, sah in der Clubszene einen nun besser nachweisbaren „Standort-Asset“. Barbara Foerster, Leiterin des Kulturamts, begründete ihre Förderung der Studie damit, dass man für bedürfnisgerechte Maßnahmen und die Weiterentwicklung des in diesem Jahr vorgestellten Konzepts zur Popkulturförderung etwas auf Papier brauche, auch für Verhandlungen mit Politik und Stadtverwaltung. „Solche Konzepte sind sehr stark mit der Szene und den Clubs besprochen worden, nichtsdestotrotz finde ich es wichtig, sie noch einmal durch Studien fundiert zu beleuchten.“ Der Bereich Popkultur war 2015 mit 431.000 Euro gesondert gefördert worden. Man wolle aber nicht „die fördern, die sowieso schon alle erreichen, sondern wir wollen die Leute fördern, die eher Nischen mit abdecken.“ Von den 1 Mio. Euro, die nun zusätzlich für die Freie Szene zur Verfügung stünden, solle auch etwas bei der Popkultur ankommen, nach aktuellem Stand seien schon 140.000 Euro dafür eingeplant. Die Fördergelder für einzelne Veranstaltungen würden sich je nach Gesamtbudget und anderen Faktoren zwischen 500 und 10.000 Euro bewegen.
Mini-Veranstalter zunehmend im Fokus
Die Nachtkultur-Studie weist diesen Ansatz als sinnvoll aus, zeigte sich doch nun, dass 63 Prozent der Besucher allein Veranstaltungen in der Größenordnung bis 200 Besuchern zuzuordnen sind. Was den oft unkommerziellen „Minibereich“ mit Jahresumsätzen unter 17.500 € so entscheidend macht, ist laut Einschätzung von Experten, dass hier Newcomer erste Auftritts- und Entwicklungsmöglichkeiten fänden und ein hohes Maß an Experimentierfreude und Innovation herrsche, mit Anziehungskraft weit über die Stadtgrenzen hinaus. Viele kleine Veranstalter, darunter die Festivals, lieferten laut der Studie nur Content und besäßen keine eigene Spielstätte, arbeiteten also mit Spielstätten zusammen, woraus sich erst die große Vielfalt ergebe. Die hohe Gründungsaktivität und Konkurrenz in NRW habe allerdings eine kurze Lebensdauer von Veranstaltern zur Folge. Die befragten Veranstalter sahen ihre wirtschaftliche Lage dennoch als stabil an, mehr Sorgen machten ihnen die Lärmbeschwerden von Anwohnern, was auch mit dem Betrieb vor und um die Spielstätten herum zu tun habe, teilweise infolge des Nichtraucherschutzgesetzes. Außerdem empfinde ein Viertel der Befragten wegen Frust mit Behörden die Standortsicherheit als gering. Eine Reihe von Handlungsempfehlungen schließt die Studie ab, darunter der Rat, Lärmkonflikte mit einem ein „Beschwerde- und Konfliktmanagement“ sowie einem „Selbstverpflichtungsbündnis“ besser in den Griff zu bekommen.
Gute Stimmung ist laut
Stephan Benn, Justiziar der Klubkomm, bestätigte aus dem Publikum heraus aktuell „massive“ Probleme mit der Lautstärke, sie würden aber dadurch verschlimmert, dass das Ordnungsamt es inzwischen vehement ablehne, durch Gutachter-Messungen „Objektivierungen von Lärmbeschwerden herzustellen“. Barbara Foerster sprach sich dafür aus, dass „die Handlungsspielräume der Gesetze auch wirklich ausgeschöpft werden“, und Marc Wohlrabe von der Clubcommission Berlin empfahl der Klubkomm, nicht über die nur „indirekt zuständigen“ Kulturabteilungen zu gehen, sondern den Innensenator um einen runden Tisch mit dem Polizeipräsidenten und den Leitern der Ordnungsämter zu bitten, „um auszuloten, was möglich ist“. Jan van Weegen von der Klubkomm sagte allerdings, dass unterschiedliche Gespräche mit den Leitern der Ordnungsämter schon geführt worden seien und dass das Nichtraucherschutzgesetz, dessen fehlende Harmonisierung mit dem Lärmimmissionsschutz die Klubkomm kritisiert, in NRW noch strenger als in Berlin sei.
Laut Wohlrabe sei in Berlin klar: „Wer keinen Lärm nachts auf den Straßen haben will, geht nicht den Nachveranstaltern an die Pelle und sagt: ‚Schickt eure Leute nachts zum Rauchen raus.‘“ Nach 23 Uhr sei das „echt albern“. Van Weegen stellte zum Kölner Nebeneinander von Wohnen und Ausgehen fest: „Die Vorschriften und die Flächennutzungspläne, so wie sie sind, stimmen natürlich nicht überein mit der gelebten Realität, die wir in der Stadt haben. Wir haben Wohngebiete ausgewiesen in Quartieren, die sehr urban, stark belebt sind, mit sehr viel Gastronomie und Einzelhandel. Da kann man das Belgische Viertel nicht vergleichen mit Köln-Mauenheim.“ Auch von gesetzgeberischer Seite müsse wohl noch nachjustiert werden. Foerster gab dazu bekannt, man sei im Gespräch mit dem Ordnungsamt über transparentere Genehmigungsverfahren etwa durch die Herausgabe von Checklisten an neue Veranstalter, die so leichter zu einer Genehmigung kämen. Die Studie empfiehlt derweil eine zentrale Anlaufstelle für das Live-Musik-Segment, die über Ressortgrenzen hinweg agiert.
Dr. Soénius von der IHK kritisierte den Plan der Stadtverwaltung, das Belgische Viertel per Bebauungsplan zu Wohngebiet zu erklären und sich so in Sachen Brüsseler Platz aus der Verantwortung zu stehlen. Die Stadtplaner hätten „den Blick noch nicht so weit für die Bedürfnisse der Kultur- und Kreativwirtschaft“, er habe da auch bezüglich Ehrenfeld „nur schlechte Erfahrungen“, und man müsse versuchen, Planer bei solchen öffentlichen Diskussionen mal dabei zu haben. Marc Wohlrabe gab allerdings aus 20 Jahren Veranstaltungserfahrung zu bedenken, dass das noch nie geklappt habe und es leider für die Kultur- und Kreativwirtschaft immer noch keine festen Ansprechpartner gebe: „Ich halte die Stadtplanung für die härteste Nuss überhaupt. Wir fordern die auf, dass die endlich kommen!“
Kölner Attraktivität
Soénius sah auch den in der Studie zu erkennenden Nachholbedarf in Sachen Stadtmarketing. Zwar lobte er das Kölntourismus-Schwerpunktthema #urbanCGN, dies sei aber bisher eher „ein Label“, das erst noch mit Leben gefüllt und vom Rat mit Werbegeldern ausgestattet werden müsse. Wohlrabe wies darauf hin, dass in Berlin – vor dem die Kölner Veranstalter übrigens den Hut ziehen – laut der dortigen Studie von 2001 der Nachtsektor für 35 Prozent der touristischen Einnahmen verantwortlich sei. Köln habe durchaus Vorzüge, die es zu Bewusstsein bringen müsse: „Zur Popkomm-Zeit bin ich viel hier gewesen, und auch gerne, denn Köln war ganz anders als Berlin, weil Dinge doch zu Fuß zu erreichen waren. Selbst der Weg auf die andere Seite nach Deutz war für mich immer ganz erhebend, weil über so einen fetten Fluss, über eine Brücke zu gehen, das haben wir in Berlin so in der Form nicht. Ich fand es immer schön, da im Sommer rüber zu wanken und auf eine Veranstaltung auf der anderen Seite zu gehen.“ Die Pollerwiesen mit ihrem großartigen Naturerlebnis auf dem Rhein seien jetzt als Marke in Amsterdam vertreten, und Köln biete eine einzigartige Atmosphäre auch durch seine lange und lebendige Geschichte. „Das finde ich total spannend, und da kann Berlin überhaupt nicht mithalten.“
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