Ihre frühesten Erinnerungen an das eigene Leben sind unmittelbar mit dem Tanz verbunden. Vier Jahre war Bibiana Jiménez alt, als sie erstmals auf einer Bühne stand. In Bogotá ist die Kolumbianerin geboren. Studiert hat sie zwar Psychologie in Barranquilla, aber der Tanz mit seinen klassischen und folkloristischen Spielarten blieb ihr Lebensmittelpunkt. Die Familie zeigte sich davon hingegen wenig angetan. Dann jedoch begegnet sie in Bogotá Johann Kresnik. „Als ich in Kolumbien erstmals von ihm modernen Tanz sah, habe ich ‚Eureka!‘ geschrien. Ich wusste, das war es, was ich wollte“, erzählt Bibiana Jiménez. Sie kam nach Europa und tanzte in Bonn bei Kresnik. Wer einmal mit diesem genialischen Berserker des Tanztheaters zusammengearbeitet hat, kommt nie wieder von dieser Kunst los. Nach Stationen bei Reinhild Hoffman und der Volksbühne in Berlin, wurde Jiménez in Köln sesshaft. „Ich bin gerne hier“, sagt die Kolumbianerin, „nicht alleine der Karneval, auch das Lebensgefühl der Menschen erinnert mich an Barranquilla“.
Als Andrea Bleikamp 2015 eine nicht mehr jugendliche Tänzerin für ein Solo auf dem Dach des Kunstsalon an der Brühler Straße suchte, stieß sie auf Bibiana Jiménez. Die damals 42-Jährige tanzte das lyrische Stück „Rockaby“ mit einer unvergesslichen Sensibilität für die kleinen, stillen Gesten des Körpers, und das in schwindelerregender Höhe. Aufsehen erregte Jiménez auch im Theater der Keller mit dem Solo „I am Fakhunda“, das den Mord an einer in Kabul gesteinigten Frau thematisiert. Feministische Themen begleiten sie durch ihre künstlerische Laufbahn. Bis vor wenigen Monaten erarbeitete sie im Internationalen Frauen Zentrum in Bonn Choreographien mit Migrantinnen. Den Kölnern rief sie in aufwändigen Produktionen – die im Umfeld des Doms realisiert wurden – die Bedeutung historischer Gestalten, wie der römischen Agrippina, der Heiligen Ursula und der bürgerlichen Katharina Henot in Erinnerung.
In Corona-Zeiten, als es für die Tanzszene fast unmöglich war, Aufführungen zu realisieren, präsentierte die Kolumbianerin neben einem Solo, in dem sie ihr eigenes Leben als dornige Biographie einer Tänzerin charakterisiert, auch ein Porträt der Malerin Martha Hegemann. Unter dem Titel „Das eXXperiment“ erzählt Jiménez von einer Künstlerin, die während der zwanziger Jahre zum engen Kreis der Kölner Progressiven gehörte. August Sander fotografierte Hegemann mit ihrem Ehemann Anton Räderscheidt. Die Malerin floh 1933 vor den Nazis nach Rom, an ihrer Seite ein zuckerkrankes Kind, das lebenswichtige Medikamente benötigte. Nach dem Kriege teilte sie das Schicksal vieler Künstlerinnen ihrer Generation, deren Bedeutung von den Kunsthistorikern übergangen wurde. Bibiana Jiménez gelingt zu diesem Schicksal eine Inszenierung, die voller großartiger Idee steckt. Nicht alleine, dass sie in der TanzFaktur das Bühnengeschehen durch eine Klarsichtfolie vom Publikum trennt, auch die beiden Tänzerinnen agieren in eigenen Räumen, ohne miteinander in Berührung zu kommen.
„Plastik hat mir das Leben gerettet“, erzählt Jiménez lachend. Tatsächlich wird die Hygienemaßnahme hier zum ästhetischen Clou. Das Leben der Malerin kann wie in einer Vitrine beobachtet werden. Die beiden Tänzerinnen haben die gleiche Partitur vorliegen, so dass man die Geschichte der Martha Hegemann auf der in der Mitte geteilten Bühne zweimal sieht. Präzise und mit viel Ausstrahlung agieren die beiden, ohne dass sich ihre Blicke je treffen würden. Man gewinnt den Eindruck, als wüssten sie gar nicht voneinander. Auch äußerlich unterscheiden sich die brünette Florencia Martina und die blonde Daniela Riebsam. Dieser Einfall der Regie betont noch einmal die Allgemeingültigkeit des weiblichen Kampfes gegen Demütigung und Ungerechtigkeit. So wird aus der aufmerksam erzählten Geschichte einer vergessenen Künstlerin ein exemplarischer Blick auf das Leben der Frauen in unserer Gesellschaft.
Das eXXperiment | Sa 5.9. 20 Uhr, So 6.9. 18 Uhr, WA im Dezember | Theater der Keller, Köln | 0221 31 80 59
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