„Pía-Paz, Pía-Paz“, rief sie ihr Großvater immer. „Er konnte uns nicht unterscheiden“, sagen Pía und Paz. „Er wollte sich nicht die Mühe machen. Wenn er rief, kamen beide.“ Die beiden Chileninnen sind eineiige Zwillinge. Gemeinsam mit Regisseur Jörg Fürst (A.Tonal.Theater) erarbeiteten sie eine Musikperformance, die sich mit Identität und „doppelter Anwesenheit“ auseinandersetzt.
Im Innenhof des Orangerie Theaters herrscht vor dem Stück trotz winterlicher Temperaturen und Regen eine gemütliche Atmosphäre. Im rötlichen Leuchten der Glashaus-Scheiben warten die Gäste unter Pavillons, trinken Wein; ein getigerter Kater streicht um die Beine. Reihenweise wird das Publikum reingerufen in den vor Kunstnebel diesigen Saal. Auf zwei hohen Stühlen sitzen die Künstlerinnen bereits auf der Bühne.
Pía Miranda kam vor zirka 15 Jahren zum Studium der Querflöte und des Jazzgesangs nach Deutschland; ihre Schwester folgte ihr drei Jahre später, um Posaune zu studieren. Oder es war andersherum, denn schon nach den ersten zehn Minuten schaffen es die Zwillinge, für Verwirrung zu sorgen. Bis auf den einen, jeweils auf der anderen Gesichtsseite baumelnden Ohrring sind die beiden Frauen komplett gleich gestylt: pinker Overall, Undercut-Frisur, hoher Dutt.
Echo und Spiegelung
Sie sprechen abwechselnd mit frappierend gleicher Stimme, dann gleichzeitig, fallen sich ins Wort, bewegen sich synchron. Teilweise wirken die Proklamationen dabei etwas zu gestelzt. Es entstehen manchmal zu lange Pausen zwischen den Sätzen, und man merkt doch recht deutlich, dass die Mirandas keine professionellen Schauspielerinnen sind. Nach den ersten Schilderungen aus ihrer Kindheit spielen sie auf ihren Instrumenten, erst harmonisch, dann bekämpfen sie sich mit wilden Tönen.
Was dann kommt, ist eine mitunter entnervende Taktik des Stücks: Alles bisher Gesagte wird mit vertauschten Rollen wiederholt. Nur leichte Variationen werden ergänzt, immer dann, wenn man als Zuschauer gerade innerlich abschaltet, weil man das Gedoppelte schon kennt. Auch das Meta-Sprechen über die Entwicklung der Produktion bricht die Immersion stark.
Dabei wird die Beobachtung der Darstellerinnen zusätzlich durch die Anwesenheit der Videokünstlerin Susann Martin wiederholt: Mit einer Live-Kamera bewaffnet, schleicht sie um Pía und Paz, zeigt sie mal von hinten, mal sehr nah, mal in Ausschnitten. Die Doppelung wird auf die Spitze getrieben, wenn Martin das projizierte Bild als Hintergrund wählt und so einen unendlichen Spiegel erschafft.
Außen gleich, innen anders?
Die Mirandas lassen das Publikum viel Privates erfahren, das tiefe Einblicke in die Existenz als Zwillinge offenbart. Eine von ihnen sei gerne Zwilling gewesen, sagen sie; die andere nicht. Ihre Stimme, ihr Lächeln sei sehr ähnlich – doch von innen seien sie ganz anders. Von anderen Menschen würden sie als „Angriff auf die Einzigartigkeit des Individuums“ gesehen. Die Verwirrung über die eigenen Dopplung gehe mitunter so weit, dass man sich frage, ob man nun sich selbst im Spiegel sehe oder doch die Schwester?
Interessant ist auch der Clash der Kulturen, dort, wo südamerikanische Unbeschwertheit auf deutsche Genauigkeit und Distanz trifft. Manchmal sind die beiden etwas schwer zu verstehen, im Akzent der Chileninnen wird die Querflöte unfreiwillig zur „Gewehrflöte“. Besonders in der Musik, die Paz Miranda komponiert, scheint ihre kulturelle Prägung klar durch. Diese Zwischenstücke sind auch das, was an der Zwillings-Performance am meisten betört.
Pía versteht es, ihre Stimme wie ein Instrument zu verwenden. Wenn die Schwestern gleichzeitig singen, dann singen sie wie mit einer Stimme – überirdisch schön. Mit zu Trommeln umgewandelten Sitzflächen, einer Konzertukulele und Effektgerät werden rhythmisch und melodisch ansprechende Stücke umgesetzt. Später verschwinden die Zwillinge beinahe im Nebel und in einer gebärmutterartigen Stoffhülse. Gerade weil sie Persönliches preisgegeben haben, freuen sich die beiden besonders ergriffen über den anhaltenden Applaus.
Das A.Tonal.Theater wurde eigens gegründet, um die freie Theaterszene Kölns zu bereichern. Hier kommen daher ungewöhnliche Produktionen und Performances unter. Das Stück „Twins – Ich & Ich“ entstand in Zusammenarbeit mit dem Theater an der Ruhr, der VolXbühne Mülheim an der Ruhr und dem Kölner Ensemblenetzwerk Freihandelszone. Erstaufführungen fanden im Orangerie Theater im Volksgarten statt, Anfang Oktober folgten Auftritte in Mülheim. Mitte November kommt das Stück noch einmal für vier Termine nach Köln.
Twins – Ich und Ich | R: Jörg Fürst | neue Termine in Vorb. | Orangerie Theater | 0221 952 27 08
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