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Die klassische Familienmodell hat längst ausgedient
Foto: Mira Moroz

Wilde Ehen

20. Dezember 2012

Wahljahr 2013: die Familie im Fokus – THEMA 01/13 EHE-LOS

Egal, ob im Internet oder in der wirklichen Welt: Derzeit wird wieder einmal gerätselt, ob die Ehe noch zeitgemäß ist. Für die User der Internetplattform ElitePartner ist sie heute jedenfalls „schwieriger als vor drei Generationen“. Ganz Radikale posten auch schon mal „Wer zu seinem Partner steht, braucht keinen Ehering, Hochzeit in Weiß, etc. Wie viele Lügen entstehen dadurch? Schein erhalten, Scheidungen vermeiden“. Wenn Heirat, „dann nur mit einem kühl und klar formulierten Ehevertrag.“ Das freut auf jeden Fall die Rechtsanwälte. Selbst bei christlichen Demokraten gehört die Scheidung längst zum Alltag, man konstatiert dort sogar: „Der Wille zur Eheschließung nimmt ab“. Doch ganz unabhängig davonwird die „Institution Ehe“ in christdemokratischen Kreisen weiter favorisiert. Eine lebenslange Partnerschaft sei schließlich keine „reaktionäre Marotte, sondern die progressive Idee der Freiheit“, so Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm.

Nur folgerichtig kämpft man schon der Geburtenrate wegen gegen eineallzu ausufernde Anerkennung vermeintlich „modischer Auswüchse“ wie der „Homo-Ehe“. Dabei ist auch unter Christen die gleichgeschlechtliche Liebe weiter verbreitet als man denkt – allen Drohungen in der Heiligen Schrift zum Trotz („Kopf ab“, wenn der Mann beim Manne liegt).

Ehe, wem Ehe gebührt
Die Bilder von glücklichen Bräuten gehören zum Alltag: im Fernsehen zum Beispiel bei Reportagen über die Royals aller Art. Kein Wunder, dass da Landesmutter Hannelore Kraft selbst in gehobenem Alter eine weiße Hochzeit nach-vollzieht – wer ganz nach oben will, muss Mut auch zu derlei haben. Dann gibt es natürlich die Homestorys in goldenen Blättern wie der „Bunten“. Nicht zu vergessen die bewegenden Bilder im Kino – man denke nur an die Hochzeit von „Shrek“. Neben dieser Hochglanzwerbung mühen sich Familienpolitiker aller Parteien seit Langem redlich, die Bedeutung der Ehe durch steuerliche Vorteile und sonstige Transfers herauszustreichen. Über die Jahrzehnte mit gutem Erfolg. Der familienpolitische Etat in Deutschland liegt bei insgesamt rund 187 Mrd. Euro, mehr als in anderen vergleichbaren Ländern und deutlich mehr, als aktuell für Griechenland drin ist. Die Resultate sind allerdings eher bescheiden. Jedes sechste Kind hierzulande gilt als arm, Kita-Plätze fehlen, dazu ist die Geburtenrate niedrig. Das hätte man sehr wahrscheinlich auch billiger haben können. Doch mit Blick auf das Wahljahr 2013 setzen die Konservativen jeder Couleur auf die erneute Ausweitung der andauernden familienpolitischen Offensive. Ob Elterngeld oder Betreuungsgeld bzw. „Herdprämie“, ob Gutscheine für Haushaltshilfen oder eine angedachte Demografie-Abgabe für Kinderlose, das Angebot ist breit, auch wenn noch nicht alles in schwarz-gelbe Gesetze gegossen ist. In jedem Fall ist das eigene besser verdienende Klientel fest im Blick.

Harte Fakten
Die Zahlen sprechen derweil eine andere Sprache. Die Zahl der Eheschließungen sinkt kontinuierlich, besonders die „Heiratsrate“ bei Bessergebildeten – schon heute ist rund ein Viertel aller AkademikerInnen mit 40 noch ledig. Auch sonst wird das Single-Dasein immer prägender. Geschätzt rund ein Drittel der um 1960 herum geborenen Männer und rund ein Fünftel der gleichaltrigen Frauen werden bis an ihr Lebensende Single bleiben. Geheiratet wird, wenn überhaupt, immer später. Zugleich steigt die Zahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften. Für diese Entwicklung gibt es neben anderem gute neoliberale Gründe. Die Ausbildung einschließlich der kostenlosen Praktika dauert immer länger, ebenso wie die berufliche Etablierung. Selbst, wer einmal den Bund der Ehe eingegangen ist, ist nicht mehr auf der sicheren Seite: Heute kommt auf zwei Ehen eine Scheidung. Seit den 1970er Jahren hat sich die Zahl der geschiedenen Männer vervierfacht, die der Frauen verdreifacht. Nichts deutet darauf hin, dass dieser Trend gebrochen wird. Was bleibt, ist die serielle Monogamie.

Befürworter der Ehe sehen diese Entwicklung so: Zwar nimmt die Zahl der Scheidungen zu, doch vor der Scheidung steht eine Ehe. Und danach wird vielleicht doch noch mal geheiratet. Scheidungen und Eheschließungen schaukeln sich so gegenseitig hoch. Das ist jetzt keine Satire, denn wie eine CDU-Analyse erläutert: „Hohe Scheidungsziffern besagen nicht, dass die Ehe überholt ist, denn es heiraten insgesamt heute eher mehr Menschen als in vergangenen Jahrhunderten. Sie bedeuten nur, dass die Vorstellung, sich für ein ganzes Leben zu binden, infrage gestellt wird.“ Auch dazu gibt es selbstverständlich Erhebungen. Danach soll jeder zweite männliche Bundesbürger seine Lebensabschnittsgefährtin betrügen, im Gegenzug steht der weiße Schleier kaum mehr für die Unschuld der Braut.

Passend dazu hat sich die Zahl der nichtehelichen Geburten in Deutschland vervielfacht. Ihr Anteil macht heute ein Drittel aus – 1960 wurde nur jedes fünfzehnte Kind unehelich geboren. „Das Bedürfnis, vor der Geburt der Kinder zu heiraten, hat an Bedeutung verloren. Insofern ist das goldene Zeitalter der Ehe eindeutig vorbei”, sagt der Geograf Sebastian Klüsener vom Max-Planck-Institut. Deutschland ist da kein Einzelfall, und auch kein Vorreiter. Tatsächlich ist überall in Europa diese Entwicklung auszumachen. Das Fazit: Kinder ja, Ehe nein.

Wolfgang Hippe

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