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„Deportation Cast“
Foto: Frank Casali

„Wir müssten eigentlich etwas machen …“

28. März 2013

Gerhard Roiß über seine Inszenierung von Björn Bickers „Deportation Cast“ im Theater im Bauturm – Premiere 04/13

choices: Herr Roiß, Sie inszenieren „Deportation Cast“, eine Stück über die Abschiebung einer Roma-Familie aus Deutschland in den Kosovo. Nun diskutieren wir gerade über die angeblichen Armutsflüchtlinge aus Rumänien und Bulgarien. Ein Zufall?
Gerhard Roiß: Das ist schwer zu sagen. Als wir uns vor eineinhalb Jahren für das Stück entschieden haben, hatte das Thema noch kaum Publizität. Es war schwierig, bei der Recherche überhaupt Material über den Kosovo-Krieg und die Abschiebung der Roma zu finden. Das Thema hat mich aber richtig angefixt. Ich wollte der Intention der Autors Björn Bicker folgen, der sein Stück als Beitrag zu mehr Sachlichkeit, zu Aufklärung und mehr Empathie versteht.

Wie verläuft die Geschichte der Roma-Familie im Stück?

​Gerhard Roiß
Foto: Presse
Gerhard Roiß, Jahrgang 1963, hat nach dem Studium der Philosophie und Geschichte an der Universität Wien eine Ausbildung zum Schauspieler am Konservatorium der Stadt Wien absolviert. Er war mehrere Jahre Mitglied des Actors Studio „Der Kreis“ unter der Leitung von George Tabori und Walter Lott. Es folgten Engagements an zahlreichen österreichischen und deutschen Bühnen. Seit der Gründung des internationalen Theatervereins Coop05 im Jahr 2005 ist er auch als Regisseur tätig. Er arbeitet als Dozent an einer Kölner Schauspielschule, an der Internationalen Filmschule (IFS), sowie an der Studiobühne Köln, und er betreibt ein Trainingsstudio zur Erforschung schauspielerischer Techniken.

Die Geschichte der Familie hätte genauso stattfinden können, wie Björn Bicker sie beschreibt. Das haben meine Recherchen gezeigt. Diese fünfköpfige Roma-Familie ist in den Kriegswirren geflohen, weil der Vater serbischer Polizist war und zwischen die Fronten geriet. Sie haben zehn Jahre in Deutschland gelebt, als geduldete Flüchtlinge. Über Nacht wurden sie dann in den Kosovo deportiert, wo sie sich jetzt zu behaupten versuchen. Während der Vater sich aus dem gemeinsamen Leben rauszieht, ist die Mutter die Pragmatische, die die Kinder dazu anhält, die fremde Sprache zu lernen. Die Tochter Elvira rebelliert, weil sie sich als Deutsche fühlt; der kleine Sohn Egzon hat schon während des Krieges ein Trauma erlitten und kann seitdem nicht mehr sprechen. Außerdem erfährt die Familie als Roma im Kosovo wieder massive Diskriminierung.

In welchem politischen Zusammenhang steht das Stück?
Ausgangspunkt sind die Auseinandersetzungen auf dem Balkan, speziell im Kosovo, der 1998/99 um seine Unabhängigkeit von Restjugoslawien gekämpft hat. In dieser Auseinandersetzung sind die Roma zwischen die Fronten geraten und zu Hunderttausenden nach Mitteleuropa geflohen. 1999 erklärte Kosovo seine Unabhängigkeit, und die Geflohenen wurden plötzlich zu Wirtschaftsflüchtlingen. Damals begann man, sie zurückzuschicken. 2010 hat Deutschland dann ein Rückführungsabkommen mit dem Kosovo geschlossen.

Wie wird die Zugehörigkeit der Familie zu den Roma im Stück greifbar?
Es wird immer wieder darüber gesprochen, dass sie schon im Krieg diskriminiert wurden, und dass der Kosovo auch heute ein gefährliches Terrain ist. Wir haben lange überlegt, wie man diese Kultur transportiert, und sind zu dem Schluss gekommen, dass das nicht geht. Wir zitieren das nur an, beispielsweise in der Musik, und halten damit die Assoziationsfelder offen.

Es gibt mehrere Ebenen im Stück.
Auf einer zweiten Ebene wird das Schicksal einer deutschen Familie gezeigt. Der Vater ist Pilot, der solche Deportationsflüge durchführt. Sein Sohn Bruno hat sich in das Roma-Mädchen Elvira verliebt und macht seinem Vater heftige Vorwürfe. Es gibt dann noch eine dritte Ebene mit einem Anwalt, einer Sachbearbeiterin, einer Beobachterin und einem Arzt, die den Fall aus der Warte ihres Berufsstandes betrachten. Soweit ich weiß, basieren diese Texte auf ausführlichen Recherchen von Björn Bicker.

Das Personenverzeichnis schreibt vor, dass die zwölf Rollen nur mit vier Schauspielern besetzt werden dürfen. Was bedeutet das?
Björn Bicker schreibt, dass jeder Schauspieler drei Rollen und sich selbst spielt. Wenn die vier Performer also diese Geschichte erzählen, geht es auch um die Haltungen der Darsteller zu diesem Thema. Das ist für mich die Basis des Stücks. Ein Schauspieler spielt sowohl den kosovarischen wie den deutschen Vater und den Anwalt und vereinigt so drei verschiedene Blickpunkte in einer Person. Wir haben lange darüber nachgedacht, ob wir den Rollenwechsel über Zeichen wie einen Kostümwechsel verdeutlichen müssen. Das Stück ist aber so klar geschrieben, dass die Behauptung schon ausreicht, um dem folgen zu können. Am Ende gleichen sich zudem die Gefühlslagen der Familienmitglieder immer mehr an. Zwar steht das Schicksal der kosovarischen Familie an Dramatik weit über dem der deutschen, aber subjektiv erleben alle dasselbe. Das versuchen wir zu zeigen.

Woran geht die deutsche Familie zugrunde?

Bruno rebelliert gegen seinen Vater und klagt ihn für die Deportationsflüge an. Außerdem kommt er mit dessen neuer Lebensgefährtin nicht zurecht. Bruno bricht schließlich in den Kosovo auf, wird aber aufgegriffen und startet eine Amokaktion, deren Folgen offen bleiben. Die deutsche Familie zerbröselt darüber genauso wie die kosovarische. Der Vater stellt sich irgendwann die Frage: Wenn man das ernst nimmt, dann müsste man doch etwas machen. Unsere Intention ist, dass auch der Zuschauer dieser Frage nicht ausweichen kann.

Wie lässt sich das bewerkstelligen? Alle Figuren im Stück delegieren ihre Verantwortung an höhere Instanzen. Persönlich verantwortlich will niemand sein, und das gilt ja auch für uns als Zuschauer.
Wir versuchen in den Spielszenen mit den Familien, in die größte psychologische Tiefe zu kommen, ohne die Figuren einer Wertung zu unterziehen. Der Zuschauer muss schon selbst Stellung beziehen. Durch die dritte Ebene stellen wir dann wieder Distanz und Sachlichkeit her. Die Frage „Was kann ich denn tun?“ steht damit immer im Raum und verweist auf unsere Realität. Unser Projekt formuliert außerdem einen gesellschaftspolitischen Anspruch. Im Moment widmen sich die Medien dem mit allen Vorurteilen behafteten Roma-Bild in aller Breite. Wir betten unsere Inszenierung in einen größeren Rahmen ein mit Konzerten, Diskussionsveranstaltungen und einem Roma-Tag. Das Theater hat für mich dabei die Funktion, eine größere Empathiefähigkeit beim Publikum zu fördern, dass man also erkennt, dass hinter der Abschiebung Schicksale von Menschen stecken.

„Deportation Cast“ hat den Preis für das beste Jugendstück 2012 bekommen. Ist das ein Abend für Jugendliche?
Ich weiß nicht, was die Qualität eines Jugendstücks gegenüber einem Erwachsenenstück ausmacht. Das Stück ist zwar sehr einfach geschrieben, wenn man sich damit auseinandersetzt, tauchen aber auch die Bruchstellen auf. Wie wir damit umgehen, macht die Frage, ob es ein Jugendstück ist oder nicht, eigentlich überflüssig.

„Deportation Cast“ von Björn Bicker | Theater im Bauturm | 6.(P)/7./10./11./12./13./24.-27.4. | 0221 52 42 42 | www.theater-im-bauturm.de

INTERVIEW: HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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