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Deborah Krönung
Foto: Tobias Rägle

„Die größte Gefahr liegt in der Vereinzelung“

28. Februar 2023

Deborah Krönung über „Die unendliche Geschichte“ am Theater im Bauturm – Premiere 03/23

Deborah Krönung kennt sich aus mit Träumen und dem Einbruch der Realität. Am Theater im Bauturm inszenierte sie zuletzt „Zeit für Entscheidung“ über eine Utopie von Europa, in die Krieg einbricht. Der Plot ihres neuen Stücks verläuft umgekehrt. In Michael Endes Fantasy-Klassiker „Die unendliche Geschichte“ wird der junge Bastian Balthasar Bux von seinen Mitschüler:innen übel gemobbt. Er flüchtet lesend in das Reich Phantásien, rettet es vor dem Untergang und findet aus der Utopie fast nicht wieder nach Hause. Ein Gespräch mit Deborah Krönung über Utopie und Realität und die Gefahr, an beiden zu scheitern.

choices: Frau Krönung, „Die Unendliche Geschichte“, ist das eher ein Märchen für Kinder- oder für Erwachsene – oder für beide?

Deborah Krönung: Ich denke, für beide. Das ist ein Roman, in dem alle viel lesen können. Wenn ich mich festlegen müsste, würde ich sogar eher sagen für Erwachsene, als für Kinder und Jugendliche.

Warum für Erwachsene?

Es ist auch ein sehr düsterer Roman. Wenn ich an meine Kindheit denke, wäre mir das zu gruselig gewesen. Hinzu kommt, dass es ein sehr vielschichtiger Roman ist. Schon was in der Bezeichnung „unendlich“ steckt, kann eine enorme Herausforderung sein, oder aber ein schöner Anstoß.

Worin besteht die Komplexität der Geschichte?

Der Roman besteht nicht aus einer stringenten Geschichte, die irgendwo hinführt, mit einem klassischen Spannungsbogen. Michael Ende hat „Die unendliche Geschichte“ aus sehr vielen Einzelepisoden gestaltet, die alle noch für etwas anderes stehen können und neben dem Thema Phantasie auch Themen aufgreifen wie Paralleluniversen, Depression, Menschwerdung. Alles verpackt in sehr überbordende Beschreibungen von Phantasiewelten. Allein in Phantásien stecken noch mal unzählige Sub-Welten drin, in denen man sich total verlieren kann.

Bastian ist zunächst ein klassisches Mobbingopfer seiner Mitschüler:innen. Ist das Eintauchen in das Buch einfach nur die Flucht vor einer unerträglichen Realität?

Bastian flüchtet sowieso in seine erfundenen Geschichten und fühlt sich dann wahnsinnig angezogen von diesem Buch. Er sitzt auf dem Dachboden und liest diese „Unendliche Geschichte“, flüchtet also nach Phantásien, weil ihn weder in der Schule noch zu Hause irgendeine Form von Geborgenheit erwartet. Die Flucht in die Fantasiewelt, das kennen wir fast alle aus unserer Kindheit, ist ein wichtiger Weg, um irgendwas in der realen Welt zu verarbeiten. Michael Endes Roman zeigt aber auch, dass man vorsichtig sein muss, damit man sich nicht in dieser Welt verliert, sondern immer wieder auch zurückkommt in die reale Welt - weil sich sonst beide Welten nicht gegenseitig befruchten können.

Wo liegt denn eigentlich Phantásien – in der Phantasie, im Unterbewussten, ist es Spiegel von Bastians Innenwelt?

Phantásien ist eine Phantasiewelt, die alles möglich macht, ohne zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, einfach weil alles vorstellbar ist. So wird es im ersten Teil des Romans beschrieben. Durch die Abenteuergeschichte wird Bastian da reingezogen. Phantásien ist letztlich in Gefahr, weil die Menschen weltweit immer mehr dem Realitätsprinzip folgen und sich davon bestimmen lassen. Alternative Denkwege bekommen genauso wenig Raum wie das Wünschen oder das Träumen als Anstoß, mit der Realität anders umzugehen.

Das ist mit dem großen Nichts gemeint, das Phantásien bedroht.

Genau, das Nichts raubt den Menschen nach und nach die Phantasie. Bastian rettet dann Phantasien und gestaltet es im zweiten Teil des Buches neu – wobei ihm dabei seine Erinnerungen an den ersten Teil des Buches helfen. Er ist prädestiniert dafür allein durch seine eigene Phantasie, wie eigentlich jedes phantasiebegabte Kind dazu auch in der Lage wäre.

Unsere Bildvorstellungen bei Fantasy-Stoffen wie Harry Potter, Herr der Ringe oder auch der Unendlichen Geschichte sind letztlich durch die Verfilmungen geprägt. Was bedeutet das fürs Theater?

Das ist genau die Herausforderung. Die Bühne am Theater im Bauturm ist nicht sehr groß, hat keine Drehbühne oder Versenkung. Wir kommen also gar nicht in die Versuchung, den Stoff bebildern zu wollen. Ich finde die Verfilmungen auch deshalb problematisch, weil sie einem die Phantasie rauben. Auf eine gewisse Weise ist der Film das Nichts des Romans. Wir sind bei den Proben auf der Suche nach einfachsten Theatermitteln, die nicht so sehr bebildern und trotzdem irgendwie die Phantasie beim Publikum anregen. Unser Ausgangspunkt ist, dass die Bühne der Dachboden ist und das Gerümpel dort zu etwas anderem erklärt werden kann. Wir orientieren uns dabei durchaus an den Spielen von Kindern, die einfach einen Stuhl zu einem Turm erklären und dann ist das gesetzt. Nehmen wir den Drachen Fuchur, den kann man auf vielfältige Weise fliegen lassen: Durch Geräusche zum Beispiel, durch Licht, durch Requisiten oder durch die Körper der drei Performer:innen.

Wie kann man sich in Figuren, die nicht aus der Realität stammen wie ein Drache, einfühlen?

Wir lesen gerade gemeinsam Stellen aus dem Roman und sprechen darüber, was da drin stecken könnte. Das ist super interessant, weil schon wir im Team vieles völlig unterschiedlich lesen. Zum Beispiel interpretiere ich die Kindliche Kaiserin als die Phantasie an sich, eine Kollegin sieht darin Bastians Mutter. Und das versuchen wir dann, irgendwie miteinander zu vereinbaren und das ist gerade sehr spannend.

Worin liegt Bastians Problem im zweiten Teil, als er Phantásien neu schafft: Eigentlich ist die Schaffung einer Welt doch erstmal eine schöne Sache?

Einerseits ist Bastians Problem, das sein neues Phantásien schöner ist als die Realität, in die er zurückkehren muss, aber nicht will. Außerdem ist er in seiner Phantasiewelt alleine, er hat keine Gemeinschaft mehr. Und das ist das Gefährliche daran, wenn man alleine träumt. Und das andere Problem für Bastian ist, dass er als Schöpfer des neuen Phantásien das mächtigste Wesen ist und sich alles wünschen kann. Er wünscht sich, der Schönste und der Stärkste zu sein, er verliert sich in Allmachtsphantasien und wird gierig. Er schickt seine Freunde weg, vor allem aber verliert er allmählich seine Erinnerungen an die Menschenwelt und damit auch das Wissen darum, wer er einmal war.

Die Realisierung von Utopien ging in der Menschheitsgeschichte selten gut aus. Gibt’s einen Beipackzettel in der Unendlichen Geschichte, wie man schlechte Nebenwirkungen verhindern kann?

Ich glaube, die größte Gefahr liegt in der Vereinzelung. Also, dass einzelne Personen egoistisch und narzisstisch sich ihre Wünsche erfüllen und darüber den Kontakt zur Gemeinschaft, die Beziehungen zu anderen Menschen verlieren. Gemeinschaft ist letztlich das, was Bastian rettet.

Die unendliche Geschichte | R: Deborah Krönung | 25.3., 1., 2., 8., 9., 10., 30.4. | Theater im Bauturm | 0221 52 42 42

Interview: Hans-Christoph Zimmermann

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