Es spricht für die Sensibilität des Projekts. Seit Eröffnung von der Skulpturenschau am Konrad-Adenauer-Ufer im August 2020 haben die acht Künstlerbeiträge nur noch an Dringlichkeit gewonnen. Konzipiert wurden sie vor Corona, der Flutkatastrophe und der weiteren Bewusstwerdung der Erderwärmung. Tobias Berger, der als Kurator in Hongkong lebt, hat Künstler und Künstlerinnen aus mehreren Kontinenten und Generationen eingeladen. Die Themen ihrer Außenskulpturen betreffen die Evolution, die Strategien der Anpassung der Tierwelt, den Selbstschutz der Natur und ihre Schönheit, ihr narratives Potenzial und ihre Analogien zum Menschen und dem technologischen Fortschritt. Im Zylinder unter Erdniveau ist die verbliebene Rüstung einer Metamorphose konserviert: Dort wo sich, als Beitrag von Dirk Skreber, ein demoliertes Auto um eine Metallstange wickelte, steht jetzt eine Hochvitrine mit der zierlichen Haut einer Libelle vor ihrem Schlüpfen, umfangen von einer Soundkulisse aus Summen und Zirpen mit einem ins Aggressive wechselnden Klang: John Bocks Installation vergegenwärtigt den Lebensrhythmus des Insekts im Kreislauf der Natur. Der Hubschrauber von Michael Sailstorfer aber, der über dem Park thront, erhält einen neuen, zusätzlichen Sinn.
Einige Schritte daneben: Leelee Chan thematisiert mit ihrer L-förmigen, mit Reihen rot-schwarzer Rädchen versehenen Skulptur die Anpassung als Strategie des Überlebens. Sie bezieht sich auf den Birkenspanner, der sich über Generationen dunkel gefärbt hat und so vor seinen natürlichen Feinden verbirgt. Im Skulpturenpark buchstäblich verborgen bleibt Ayşe Erkmens Bronzeskulptur „Lonesome George“, die nach den letzten Vertretern einer hawaiianischen Schneckenart und der Galápagos-Riesenschildkröte benannt ist und so stellvertretend, sozusagen als Denkmal, für das Aussterben von Tierarten steht. Erkmens Schnecke befindet sich mit ihren 2,5 cm „irgendwo“ auf einer Platane. Der Blick tastet die Rinde mit ihren Rissen und ihrem Bewuchs entlang, und man muss die Bronze gar nicht finden und hat doch ein intensives Naturerleben.
Auch andere Werke wenden sich Bäumen zu. Die Installation „Rübezahl“ von Mary Bauermeister besteht aus 130 Holzstühlen, die, als Ort der bewussten Wahrnehmung und Meditation, über mystische Zusammenhänge hinaus an Sagen und Märchen erinnern und urzeitliche Rituale gesellschaftlicher Zusammenkunft aufrufen. Abgeschieden von allem ist der Beitrag von Trevor Yeung. Ein junger Ginkobaum ist mit einem Seil mit einer Laterne verbunden, welche abends rosa leuchtet. Die symbiotische Fürsorge kommt über die Geste des sich gegenseitigen Haltens hinaus in der Pflanzenlampe zum Ausdruck, die genauso auf die Menschenwelt, deren Begehren und Trost weist – ohnehin ist das eine Qualität der meisten dieser Werke, dass sie über ihr Thema hinaus weitere inhaltliche und ästhetische Zugänge auslösen. Dieses feine Gespür, dass sich durch die ganze Ausstellung auf dem Skulpturenareal zieht, zeichnet übrigens auch den vor kurzem erschienenen Katalog aus. Er ist ein weiteres Beispiel für den geglückten Auftrag der Vermittlung und die Achtsamkeit gegenüber den Ressourcen der Natur.
KölnSkulptur #10 | bis Juni 2023 | Skulpturenpark Köln | 0221 33 66 88 60
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Bühnenbild als Skulptur
Anna Viebrock in der Skulpturenhalle Neuss
Atem unserer Lungen
„Body Manoeuvres“ im Skulpturenpark – kunst & gut 09/24
„Welche Wahrheit trauen wir Bildern zu?“
Kurator Marcel Schumacher über „Ein Sommer in vier Ausstellungen“ im Kunsthaus NRW in Aachen – Interview 06/24
Zu Beginn
Thomas Schütte in der Skulpturenhalle Neuss
Eins mit der Natur
Heinz Mack im Skulpturenpark Waldfrieden – Kunst in NRW 08/21
Hinter Masken
Michael Sandle in Wuppertal – Kunst in NRW 03/20
Freifuftmusiken im Sommer
Ansprechende Klänge in Wuppertal und Düsseldorf – Improvisierte Musik in NRW 08/16
Große Kunst und Vogelgezwitscher unter dem Highway
Der Kölner Skulpturenpark gewinnt faszinierende Arbeiten hinzu – Kunst 07/15
Hängen, Stehen, Liegen
Skulpturen von Harald Klingelhöller im Skulpturenpark Waldfrieden in Wuppertal – Kunst in NRW 12/13
Nichts Lautes
Szenenwechsel im Skulpturenpark Köln – kunst & gut 09/13
Mit dem Surrealismus verbündet
Alberto Giacometti im Max Ernst Museum Brühl des LVR – kunst & gut 11/24
Außerordentlich weicher Herbst
Drei Ausstellungen in Kölner Galerien schauen zurück – Galerie 11/24
Fragil gewebte Erinnerungen
„We are not carpets“ im RJM – Kunst 10/24
Geschichten in den Trümmern
Jenny Michel in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 10/24
Ein Himmel voller Bäume
Kathleen Jacobs in der Galerie Karsten Greve – Kunst 09/24
Leben/Macht/Angst
„Not Afraid of Art“ in der ADKDW – Kunst 09/24
Lebenswünsche
„Körperwelten & Der Zyklus des Lebens“ in Köln – Kunst 09/24
Die Freiheit ist feminin
„Antifeminismus“ im NS-Dokumentationszentrum – Kunstwandel 09/24
Die Absurdität der Ewigkeit
Jann Höfer und Martin Lamberty in der Galerie Freiraum – Kunstwandel 08/24
Vor 1965
Marcel van Eeden im Museum Schloss Morsbroich in Leverkusen – kunst & gut 08/24
Atem formt Zeit
Alberta Whittle in der Temporary Gallery – Kunst 07/24
Niemals gleich
Roni Horn im Museum Ludwig – kunst & gut 07/24
Tage des Schlafwandelns
„Übergänge des Willens“ im KunstRaum St. Theodor – Kunstwandel 07/24
Das Gewicht der Gedanken
„scheinbar schwerelos“ im Zündorfer Wehrturm – Kunst 06/24