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„Die Glasmenagerie“
Foto: Sandra Then

Zerbrochene Träume

20. Dezember 2012

„Die Glasmenagerie“ am Kölner Schauspiel – Theater am Rhein 01/13

„In der Erinnerung geschieht scheinbar alles mit Musikbegleitung“, sinniert Tom Wingfield, der gerade unter der Discokugel zu „In the Navy“ tanzte, während Mutter, Schwester und Arbeitskollege als Uncle Sam kostümiert im Boot ankamen. Im Rückblick scheint vieles verzerrt und zugespitzt. Und da das Stück, wie Tom betont, in seiner Erinnerung spielt, sehen wir es als das grelle Trauerspiel, das in seinem Kopf übriggeblieben ist.

Die Wingfields, das sind außer dem Vater, der längst das Weite gesucht hat, nur Schwester Laura und Mama Amanda. Die von Tennessee Williams erdachte ärmliche Wohnung im St. Louis der 1930er Jahre ist auf der Bühne von Thomas Dreißigacker einem ziemlich langen, ziemlich abgerockten Caravan samt davor arrangiertem Campingmobiliar gewichen; das dazugehörige triste Umfeld reißt das Ensemble plastisch an („Ah, the neighbors!“). Auch einen Zeitsprung hat es gegeben. In die 70er? Die Kostüme (Christine Meyer) legen es nahe. Oder der Häkelfummel, die bommelige Kunstpelzmütze und die Plateauschuhe von Anja Lais zeigen das Klammern ihrer Figur an die Vergangenheit.

Da war Amanda noch eine Südstaaten-Belle mit zahllosen Verehrern, so begehrt wie Scarlett O’Hara. Von der liest ihre gehbehinderte Tochter lieber, als sich selbst auf den Heiratsmarkt zu werfen – sehr zu Mutters Kummer. Alles soll besser werden, als Toms Kollege Jim zum Essen kommt, und wird doch nur noch trauriger. Dass die Charaktere in Sebastian Kreyers erster Inszenierung am Kölner Schauspiel anrühren, ist nicht selbstverständlich, lässt er sie doch mehr als Karikaturen denn als Menschen mit Tiefe spielen. Auf den ersten Blick. Denn gerade durch ihre Überzeichnungen – Marie Rosa Tietjens spastische Laura, Carlo Ljubeks selbstverliebter Jim und vor allem die tragische Trash-Mom der phänomenalen Anja Lais – erzeugen die Schauspieler eine schmerzhafte Nähe und verkörpern die Schuldgefühle des geflüchteten Tom, den Orlando Klaus sinnigerweise als Normalsten der Runde anlegt. Auch wenn nicht jeder schrille Gag oder Song zündet und der über zweistündige Abend Längen hat, geht diese beklemmend lustige Menagerie der zerbrochenen Träume unter die Haut.

„Die Glasmenagerie“ von Tennessee Williams | R: Sebastian Kreyer | Schauspiel Köln in der Expo XXI | 6./9./17.1. 19.30 Uhr | www.schauspielkoeln.de

JESSICA DÜSTER

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