Da die Bühnen der Stadt sich bis November auf ihr großes Eröffnungsbrimborium am Offenbachplatz vorbereiten, gehört das Spielfeld bis dahin der freien Szene. Wenn einer eine Reise tut... Der altbackene Satz gilt auch, wenn man wie das nö theater zum G7-Gipfel auf Schloss Elmau reist. Natürlich nicht als Bespaßungstruppe politischer Alphatiere, sondern als Teilnehmer der Proteste. „Gipfelstürmer“ nennt die Truppe um Janosch Roloff, Felix Höfner und Asta Nechajute ihr Work-in-progress, das im Dezember 2014 gestartet ist. Damals wurden als Vorbereitung auf einen wirkungsvollen Protest die endlosen Strategiedebatten tragikomisch auf die Schippe genommen und theaterreflexiv in die Humorschleife verlängert. Jetzt kommen die Gipfelgegner vom bayerischen Voralpen-Schlachtfeld zurück und dürften von schweren Kämpfen, von Verlusten und Triumphen berichten. „Das war der Gipfel“ heißt es mediengerecht – auch wenn bekanntlich nichts so alt ist wie die Nachricht von gestern.
Er ist zwar Minister, aber die Gipfelstürmer hätten ihm gegenüber wahrscheinlich wenig Berührungsängste. Yanis Varoufakis ist der Bad Boy der globalen Finanzordnung. Der Wirtschaftsprofessor ist auch selbst nicht zimperlich im Austeilen: „Der globale Minotaurus“ ist sein Buch über die Weltwirtschaft betitelt, das Amerika an den Pranger stellt. Einen Bösewicht braucht schließlich jeder. Und der Minotaurus ist so etwas wie die mythische Metapher des gierigen Verschlingens, aber auch des Ausschlusses. Die Truppe Tripletrips macht sich in ihrer neuen Produktion auf die Suche nach den gesellschaftlichen Mechanismen des Minotarurischen. Die Geburt des Ungeheuers war schließlich die Frucht einer Gotteslästerung durch König Minos, woraufhin seine von Poseidon verhexte Frau sich mit einem Stier paarte. Ergebnis: das menschenfressende Ungeheuer, halb Stier, halb Mensch, das in ein Labyrinth eingesperrt wurde und regelmäßig seine Opfer verlangte. Wo das Labyrinth liegt und welche Opfer wir ständig bringen, das werden uns die Spezialisten eines haptischen Konzepttheaters hoffentlich erklären.
Im Minotaurus soll ein menschlicher Anteil vorhanden gewesen sein. Vor der Gier hat ihn das nicht bewahrt – im Gegenteil. Vielleicht liegt die Quelle der Gefräßigkeit eher im Menschen als im Tier. Das Analogtheater überschreitet in seiner neuen Produktion die Grenzen zwischen beiden Gattungen und begibt sich aus den Gefilden des Humanums ins das Reich des Animalischen. Bleibt die Frage zu beantworten, ob es sich dabei wirklich um einen Abstieg auf der unten offenen Triebskala handelt. Oder ob die Hölle des Tieres nicht erst eine von Menschen gemachte ist, deren instrumentelle Vernunft für jedes animalische Lebewesen eine Käfig-, Mästungs- und Tötungsmethode bereithält. Methoden, die in ihrer Brutalität jedes tierische Maß übersteigen. Man kann nur hoffen, dass die Mitglieder des Analogtheater diese Verwandlung in Tieravatare heil überstehen.
„Das war der Gipfel“ | R: nö theater | 16.9.(P) 20 Uhr | nö theater / Freies Werkstatt Theater | 0221 32 78 17
„Mitos Minotaurus“ | R: Nikos Konstantakis, Markus Tomczyk | 15.9.(P) 20 Uhr | Tripletrips / Studiobühne | 0221 470 45 13
„Unter Tieren – ein Menschenversuch“ | R: Daniel Schüßler | 25.9.(P) 20 Uhr | Analogtheater / Studiobühne | 0221 470 45 13
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