Ingeborg Bachmann war der weibliche Shootingstar der deutschsprachigen Literatur nach 1945 – hatte dafür einen hohen Preis zu zahlen. Dazu gehörte nicht nur die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und dem Vater, der Parteimitglied gewesen war. Repressive gesellschaftliche sowie patriarchalische Strukturen und die kleinbürgerliche Enge Österreichs machten ihr schwer zu schaffen. Nach Lenz und Kafka widmen sich die beiden Schauspieler und Regisseure Achim Conrad und Thomas Hupfer in ihrer Reihe Auf-Brüche dem Leben und Werk Ingeborg Bachmanns.
choices: Herr Conrad, Herr Hupfer, wie passt Bachmann in eine Reihe mit Lenz und Kafka?
Achim Conrad: Hinsichtlich ihrer Unbedingtheit, Tragik, Konsequenz und Wirkung passt Ingeborg Bachmann bestens zu Lenz und Kafka. Die Unbedingtheit, in der Kunst Neues zu schaffen, neue Wege zu gehen. Die Tragik: Alle drei sind in ihrem Leben ein Stück weit an der Gesellschaft zerbrochen und verhältnismäßig jung gestorben. Schließlich die Wirkung: Alle drei sind in ihrem Bereich, also Lenz in der Dramatik, Kafka in der Prosa und Bachmann in der Lyrik wegweisend gewesen.
Welchen Preis hatte Bachmann für diese Wirkung im damals ja weitgehend männlich dominierten Literaturbetrieb der 1950/60er Jahren zu zahlen?
Thomas Hupfer: Der Preis, den sie zahlt, ist ein sehr hoher. Die Konsequenz, mit der sie Fragen nach der Identität, der Selbstverortung in der Welt, nach immer neuen Standpunkten stellt, hat sie selbst einmal als Absolutheitswahn bezeichnet. Sie hat sich nicht gestattet, wirklich zur Ruhe zu kommen und sich einzurichten, sondern beklagt ihre Unbehaustheit in der Welt. Dieses ins Extreme gehen, war bestimmt eine Zumutung für manche Zeitgenossen – und ist es bis heute. Vieles bei Ingeborg Bachmann lässt sich als Ich-Verlust deuten: der überhöhte Anspruch an sich selbst, die Selbstinszenierungen, das Rollenspiel.
„Als eine Diva der Literatur wahrgenommen“
Welche Rollen sind das?
TH: Für unsere Inszenierung haben wir drei Modelle gewählt: Die jugendliche, optimistisch aufbrechende Ingeborg Bachmann, die sich der Literaturwelt und dem Leben noch gewachsen wähnt. Dann die eher burschikose Schriftstellerin, die sich in einer männlich dominierten Literaturwelt als weibliche Figur bewegt und auch akzeptiert wird. Schließlich ist sie als eine Diva der Literatur wahrgenommen und beschrieben worden.
AC: Für uns ist die Trilogie ein Projekt, das das Leben der Künstler und ihre Werke spiegelt sowie das Heutige in diesen drei KünstlerInnen Lenz, Kafka und Bachmann sucht. Bei Lenz hat man diesen Sturm und Drang, bei Kafka haben wir das Naturtheater von Oklahoma aus „Amerika“ als Klammer gefunden. Bachmann erschien uns am Anfang dagegen noch spröde. Wir haben die Lyrik ins Zentrum gestellt, doch uns war lange unklar, wie sich das auf die Bühne bringen lässt.
TH: Der Rahmen, den wir für die Inszenierung gewählt haben, lässt sich mit einem Zitat von Ingeborg Bachmann beschreiben: „Für mich ist niemand gestorben und selten lebt jemand, außer auf meiner Gedankenbühne.“ Dieses Bild der „Gedankenbühne“ hatte für uns von Anfang an einen Reiz, weil man darauf keine Biografie und keine Dramatisierungen machen muss, sondern nur die für Bachmann entscheidenden Erlebnisse, Personen oder Figuren aus ihren Werken auftreten lassen kann. Wir beschäftigen uns zusammen mit der Schauspielerin Anna Döing vor allem mit dem Aufbruch von Ingeborg Bachmann.
„Es gibt Sätze von Ingeborg Bachmann, die kann man als Anleitung zum Unglücklichsein lesen“
Welche Aufbrüche sind für Ihre Inszenierung wichtig?
AC: Ihre Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, aber auch ihr Kampf gegen Populismus und Konservativismus hat ihr Leben bestimmt. Das ist eines der bis heute aktuell gebliebenen Themen.
TH: In ihrem Kriegstagebuch schildert sie, wie sie diese Zeit erlebt hat. Dass sie nicht in den Bunker zurückwill, sondern, wenn sie schon sterben müsse, dann lesend im Garten und in der Sonne. Sie weigert sich, ihr Handeln und Denken vom Krieg bestimmen zu lassen. Da steckt wieder so eine Unbedingtheit drin. Dann beschließt sie, aus diesem kleinen Österreich in die Welt aufzubrechen.
AC: Dann die Liebe. Das ist ein ganz wichtiges Stichwort in unserer Inszenierung. Lieben, das sei das Schwerste, schreibt Ingeborg Bachmann. Lieben sei das größte Kunstwerk, das man sich vorstellen kann und nur wenige könnten es. Und sie sagt dann ganz klar, sie selbst könne dieses Kunstwerk nicht. Trotzdem bleibt sie immer auf der Suche danach, lässt sich auf Beziehungen ein. Paul Celan wird dann die Liebe ihres Lebens, die sich aber nicht leben lässt, zumindest nicht in einer Alltäglichkeit. Sicher ist sie an der Liebe auch gescheitert, weil ihr der Zugang zur Einfachheit, die Liebe auch sein kann, nicht gelungen ist. Vielleicht aber auch aufgrund der Männer, die sie sich ausgesucht hat.
TH: Es gibt Sätze von Ingeborg Bachmann, die kann man als Anleitung zum Unglücklichsein lesen. Dazu gehört der Satz: „Das Leichte muss man sich verbieten.“ Paul Celan hat mal von ihr gesagt, sie sei eine „im Schweren Beheimatete“. Und am Ende ihres Gedichts „Erklär mir, Liebe“ heißt es: „Ich seh den Salamander / durch jedes Feuer gehen. / Kein Schauer jagt ihn und es schmerzt ihn nichts.“ Also sie muss sich wappnen vor den Verletzungen, gerade auch der Liebe.
„Wir stellen die Lyrik ins Zentrum“
Worin liegt der ästhetische Aufbruch von Ingeborg Bachmann und wie spielt der in Ihrer Inszenierung eine Rolle?
TH: Marcel Reich-Ranicki rühmt an Ingeborg Bachmann, dass sie in ihren Gedichten die Tradition mit der modernen Lyrik verbindet. Und deswegen hatte sie auch so großen Erfolg. Deshalb haben wir das Entstehen der Lyrik ins Zentrum gestellt. Mit dieser Verbindung ist ihr etwas ganz Großes gelungen und das versuchen wir hörbar, spürbar, erlebbar zu machen. Wie entsteht eigentlich Lyrik? Es gibt Beschreibungen von Ingeborg Bachmann, wie sie schon früh als Kind angefangen hat, aus Musikfetzen Sätze zu machen, wie sie am Bahndamm lag und ihre Fantasie schweifen ließ und ihr dann Bilder kamen. Dann hat sie Sätze aufgeschrieben, die sie nicht verstanden hat, die ihr aber besonders vorkamen. Oder dass sie später einmal schreibt, in den ersten drei Zeilen stünde immer das ganze Gedicht.
AC: Also es wird einen Dichtraum, einen Arbeitsraum geben, in dem sie arbeitet. Ein Raum, der sehr künstlich und abstrakt ist, aber in dem man eine ganz andere Klangqualität erzeugen kann und der ein anderes Hinhören für diese Texte ermöglicht. Wir haben außerdem nach szenischen Momenten gesucht, zu denen ein Gedicht wirklich passt. Momente, die die Verse vielleicht nicht eins zu eins erklären, in denen man aber das starke Erleben spürt, aus dem sich das Gedicht Bahn bricht.
Und wie hilft uns Bachmanns Lyrik in der Gegenwart einer Pandemie?
TH: Es gibt eine Stelle, wo Ingeborg Bachmann an Sinn und Relevanz von Kunst, speziell an Lyrik zweifelt und sagt: Ein Gedicht kann keinen Krieg beenden. Es ist einsam und kümmert zu Recht niemanden. So ähnlich fühlen wir uns als Künstler vielleicht im Moment auch. Wir können auch keine Pandemie beenden. Sind wir deswegen einsam und kümmern zu Recht niemanden? Wir hoffen nicht. Braucht man in Zeiten der Krise ein Gedicht von Ingeborg Bachmann und braucht man einen Theaterabend über sie? Vielleicht dringender als je zuvor.
Bachmann | R: Achim Conrad, Thomas Hupfer | So 21.2. 18 Uhr (geplant) | Freies Werkstatt Theater | 0221 32 78 17
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