80 Ensembles auf 45 Bühnen in einer Nacht: Es sind beeindruckende Zahlen, mit denen die Bonner Theaternacht auftrumpfen kann und die zeigen, wie bunt die Bonner Theaterlandschaft ist – trotz der zahlreichen Kürzungen bei den städtischen Zuschüssen, die sogar das ein oder andere Bonner Theater (fast) in die Knie zwingen. Aber die Theater machen weiter – man fragt sich nicht selten wie – und der Zuspruch bei der 13. Bonner Theaternacht am 29. Mai war wieder einmal riesig. Ganz Bonn war Theater!
Ohne gute Vorbereitung geht jedoch nichts: Was will ich sehen und wo soll ich anfangen? Was lässt sich logistisch zwischen Bad Godesberg, Beuel, der Bonner Innenstadt, bis hin zu den Stadtteilen Endenich und Duisdorf umsetzen? Zwar liefert die Broschüre zur Theaternacht Routenvorschläge und die Stadt stellt Shuttlebusse zur Verfügung, doch wenn man den Radius etwas größer ziehen möchte, kann es logistisch schwierig werden. Da greift man doch eventuell auf den eigenen „Shuttle-Polo“ zurück und hofft, dass die Insiderkenntnisse hinsichtlich möglicher Parkplätze ausreichen. Zum Glück machen das nicht alle.
Zur offiziellen Eröffnung vor den eigentlichen Programmen geht es zunächst zu den „Nesthäkchen“ der diesjährigen Theaternacht im Malentes Theater Palast. Knut Vanmarcke und Dirk Voßberg-Vanmarcke haben die Türen zu ihrem Spiegelzelt von 1935 erst vor sieben Monaten geöffnet und sind zum ersten Mal bei der Theaternacht dabei. Auch für die neue Sport- und Kulturdezernentin der Stadt Bonn und Schirmherrin der diesjährigen Theaternacht Dr. Birgit Schneider-Bönninger ist es die erste Theaternacht. Voller Vorfreude auf die Erlebnisse entlässt sie die Besucher zu den Starter-Vorstellungen: „Theater ist immer Ausnahmezustand und der heutige Abend wird Sie in Ekstase versetzen“, versichert sie.
Für uns geht es nun nach Bad Godesberg in das Schauspielhaus, in dem an dem Abend ausnahmsweise getanzt wird. Die Tanzkompagnie bo komplex, die von Bärbel Stenzenberger und Olaf Reinecke gegründet wurde, hat sich feingemacht für die Theaternacht – nicht ohne dass im ersten Stück „Zwischenspiele“ die Dame erstmal mehrere Outfits anprobieren muss, bis es dann das grüne Abendkleid wird. Als Gäste sind an dem Abend unter anderem Elisabeth Kindler-Abali als „Quotenfrau“ und Melanie López López dabei. Es ist faszinierend, wie es einzelnen Personen gelingt auf der großen Bühne das Publikum in ihren Bann zu ziehen.
Auf der anderen Rheinseite, in der Brotfabrik in Beuel, könnte man derweil die ganze Theaternacht zubringen, ohne das Gelände zu verlassen. Im Theatersaal zeigt sich die Internationalität der Bonner Theaterszene bei spanischem Theater in Szenen einer Beziehung des Theaters Pipolart. Selbsterklärend auch dann, wenn man kein Spanisch versteht. Hier finden auch außerhalb der Theaternacht freie Gruppen immer eine Bühne, so beispielsweise die Bonn University Shakespeare Company (BUSC), die hier die späten Stunden der Theaternacht mit englischem Theater bestreitet. Internationales Theater gibt es auch im Institut Français, bei den „GIFTIS“, dem German Italian French Theater. Die junge Truppe zeigt Auszüge aus ihrem Stück „Mare Nostrum“, einer kritischen und interaktiven Auseinandersetzung mit der Flüchtlingssituation, die am 17. Juni Premiere feiert.
Auf dem Weg in die Bonner Innenstadt begegnet uns der Schwyzer Poschti, der historische Schweizer Postbus, der mit den Besuchern die Bonner Bausünden abfährt – die Führung übernehmen dabei Ludwig van Beethoven und Bob der Baumeister. Die dazugehörige Vorstellung im Unternehmenstheater Faust Drei am Bonner Marktplatz gehörte zu den gefragtesten Angeboten der diesjährigen Theaternacht. Und obwohl es noch so viel zu entdecken gäbe in den regulären Spielstätten, aber auch ungewöhnlichen Spielstätten wie beispielsweise dem Gasthaus Nolden in Endenich, so neigt sich die 13. Theaternacht auch schon wieder dem Ende zu.
Ein Besuch steht allerdings noch auf der Liste und ist gerade in diesem Jahr ein Muss: Ein letztes Mal ins Euro Theater Central! Nach fast 50 Jahren im Mauspfad gibt eines der kleinsten Zimmertheater in der Theaternacht seine Abschlussvorstellungen. Zunächst gibt es eine Premiere mit Woody Allens „Der Tod klopft“. Der Ansturm ist riesig und kann kaum gebändigt werden. Im Treppenhaus stehen sich die Fans geduldig die Füße in den Bauch, um noch einen Platz im 45-Plätze-Theater zu erwischen. Doch zunächst müssen die Besucher der früheren Vorstellung raus. Aber auch das Schlange-Stehen gehört zur Theaternacht und lädt zum Gespräch mit dem Vor-, Hinter- und Nebenmann ein: „Und? Wo warst du schon? Lohnt sich das? Und wie komme ich da hin?“
In der letzten Vorstellung von „Der Tod klopft“ sitzen am Ende – dank zwei weiterer Stuhlreihen, die fast schon auf der Bühne stehen – 60 Leute im kleinen Theatersaal. Die ganz treuen Freunde des Hauses bleiben auch noch zur letzten Vorstellung in den einmaligen Räumen: Sartres „Geschlossene Gesellschaft“, das ab 23.30 Uhr in voller Länge gezeigt wird und zu den am häufigsten gespielten Stücken des Theaters zählt – übrigens immer in der Inszenierung des mittlerweile verstorbenen Theatergründers Claus Marteau. Doch trotz aller Wehmut kann das Euro Theater aufatmen: Nach langen und beschwerlichen Existenzkämpfen hat es eine neue Heimstätte gefunden. So ist Sartres letzter Satz „Machen wir weiter!“ nicht nur ein wunderbarer Schlusssatz der 13. Bonner Theaternacht, sondern auch Slogan für das gerettete Euro Theater Central.
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