Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.582 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Dachlatten und Kaviar

30. November 2017

Georg Herold im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 12/17

Viel zu eng, viel zu viel! Erinnert man sich an die großartige Retrospektive von Georg Herold vor etwas über einem Jahrzehnt in Köln und Baden-Baden, wo die Skulpturen, Objekte und Leinwandarbeiten nach Gruppen sortiert waren, so wirkt die Werkschau im Kunstmuseum Bonn etwas unentschieden, ob sie die Vergangenheit rekapitulieren oder die Gegenwart vergleichend zusammenstellen soll. Aber genau dadurch lassen sich die Konstanten der Kunst von Georg Herold ausmachen, etwa die Verwendung des Profanen in der Durchmischung mit dem Luxuriösen und die labile Kombination von Lapidarem und Provisorischem. Ebenso gehören ein enormer Witz – bei dem Text (direkt auf den Werken und in den Titeln) eine Rolle spielt – und andererseits die sorgfältige Ordnung und Archivierung (bis hin zum Gefäß im Gefäß) zu diesem wie selbstverständlich auftretenden, aber irgendwie abwegigen Werk. So sind auf Leinwänden Ziegelsteine oder aber Mengen von Kaviar befestigt. Und es gibt riesige, schlank aufwachsende Lattenfiguren teils im Anzug oder ganz mit Stoff oder farbiger Folie überzogen. Andere, gebückte Figuren hat Herold in Bronze gegossen. In den Vitrinen befinden sich Einmachgläser, die unter anderem Socken enthalten. Erstaunlich sind auch die winklig aufgeklappten Zollstöcke, auf denen Ortsnamen geschrieben sind, wodurch sie zu Landkarten und Grenzen werden und dadurch Zeitgeschichte thematisieren. Überhaupt, zu trauen ist diesen dadaesken Formfindungen mit den rohen Materialien nicht. Herold unterläuft alle Erwartungen an das Wahre, Gute, Schöne von Kunst und bringt gesellschaftskritische Aspekte ins Spiel. Wichtig sind dabei seine biografischen Erfahrungen.

Georg Herold wurde 1947 in Jena geboren; er hat in der DDR an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle studiert. 1973 wurde er beim Fluchtversuch in den Westen gefasst und nach neun Monaten Haft von der BRD freigekauft. Hier hat er sein Studium zunächst in München und dann in Hamburg fortgesetzt, bei Franz Erhard Walther und besonders bei Sigmar Polke. Dessen ironische und subversive, für Experimente offene Arbeitsweise kehrt nun auch in Herolds Werk wieder, seit er in Hamburg mit Albert und Markus Oehlen und Werner Büttner einen Gegenpol zu den zeitgleich malenden „Jungen Wilden“ bildete.

Seit 1983 lebt Herold in Köln, 1999-2014 war er Professor für Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf. Längst gehört er zu den wichtigsten Bildhauern seiner Generation, der die Traditionen seines Mediums respektiert und zugleich überwindet. Wie weit das geht, zeigen in Bonn die ganz neuen Farbfotografien, die, ihrerseits skulptural gedacht, wie verrutschte Aufnahmen blöder Situationen des heutigen Alltags wirken und ganz nebenbei unser Leben kommentieren: Zeitgemäße erste Sahne!

Georg Herold | bis 7.1. | Kunstmuseum Bonn | 0228 77 62 60

THOMAS HIRSCH

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Farbe als Ereignis
Katharina Grosse im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 07/24

Glaube und Wissenschaft
Louisa Clement im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 04/24

Die Farbe der Ironie
Bonn zeigt Werkschau zu Wiebke Siem – Kunst 07/23

Aus dem Nachbarland
Dorothea von Stetten-Kunstpreis im Kunstmuseum Bonn – Kunstwandel 08/22

Schnappatmung der Kunst
„Die Welt in der Schwebe“ im Bonner Kunstmuseum – Kunstwandel 05/22

Reise ins Körpergehäuse
Maria Lassnig im Kunstmuseum Bonn – Kunstwandel 03/22

Ursachen der kunstvollen Wirkung
„Passierschein in die Zukunft“ im Kunstmuseum Bonn – Kunstwandel 12/21

Betörende Melancholie garantiert
Norbert Schwontkowski im Bonner Kunstmuseum – Kunstwandel 01/20

Maler unterwegs
„Jetzt!“ im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 12/19

Früher adelten die Museen Qualität
Mehr als 500 Bilder: „Jetzt! Junge Malerei in Deutschland“ – Kunstwandel 11/19

Digital, böse, und etwas flüssig
Der dänische Blick: 18. Dorothea von Stetten Kunstpreis in Bonn – Kunstwandel 09/18

Die Vorstellungen weigern sich
Thomas Scheibitz im Bonner Kunstmuseum – Kunstwandel 03/18

Kunst.

Hier erscheint die Aufforderung!