Der neue „Demokratie Space“ an der Kalker Hauptstraße soll mehr Raum für die Würde des Menschen schaffen. „Dies ist eine Haltung, kein Projekt!“, sagt Elizaveta Khan. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin des Integrationshaus e.V. und Unterstützerin des drei eingerichtete Räume umfassenden Demokratie Space. Außerdem sprachen wir mit Rob, Orion und Vinz, Mitglieder von SPEKTRUM, einer selbstorganisierten Gruppe für sexuell divers orientierte Migrant*innen. Sie treffen sich mittwochs und freitags.
choices: Frau Khan, welche Umstände bewogen Sie zur Eröffnung des Demokratie-Space?
Elizaveta Khan: Der Integrationshaus e.V. in Kalk besteht mittlerweile seit über zehn Jahren und versucht, viele Dinge umzusetzen. Wir stoßen aber rein rechtlich auf Grenzen. Wir reden immer von Integration und Teilhabe, aber solange lediglich Aufenthaltserlaubnisse erteilt werden, um hier zu sein, besteht immer ein rechtliches Ungleichgewicht. Das hat uns bewogen, unsere Aktivitäten zu verstärken. Gleichzeitig wollen wir damit auch eine Entlastung für das Integrationshaus schaffen, indem die Menschen sich im Demokratie Space selbst organisieren.
Sie fordern in ihren Anliegen provokant eine „Demokratisierung des Abendlandes“. Was meinen Sie damit konkret?
Wir zählen einfach nicht. Wir möchten Menschen dazu anregen, darüber nachzudenken, was mit Teilnahme oder Teilhabe eigentlich gemeint ist. Wir müssen alle rechtlich gleichgestellt sein und wollen nicht alle drei Monate oder drei Jahre darum betteln müssen, dass wir uns auf diesem Teil der Erde aufhalten dürfen. Wir wollen wir sein dürfen. Deutschland braucht Nachhilfe in Demokratisierung. Es wird Zeit, dass wir uns hinstellen und sagen: Wir sind da. Ihr könnt uns nicht wegreden.
Wer kann die Räumlichkeiten nutzen?
Prinzipiell jeder, natürlich auch Kinder und Jugendliche. Sobald Corona es zulässt, können sich die Leute hier treffen. Das Integrationshaus hatte in der Vergangenheit viele Anfragen von Vereinen, Bürgerinitiativen oder Seniorengruppen, die Räume gesucht haben. Wenn Menschen sich schon engagieren, sollten sie nicht auch noch dafür bezahlen müssen, dass sie aktiv an der Zielrichtung arbeiten, soziale Vorhaben zu realisieren. Deshalb stellen wir diese Räume unentgeltlich zur Verfügung. Es sind alle Arten von Treffen denkbar, von Erste-Hilfe-Kursen über Spiel-Nachmittage bis hin zu Kunstveranstaltungen oder Meetings von Fridays for Future. Selbstverständlich wird sich hier nicht die NPD oder AfD treffen, das ist klar.
Würde es nicht Sinn ergeben, die Räumlichkeiten in Anbetracht der demokratischen Aufklärung auch für Diskussionen mit demokratiekritischen Gruppierungen zu öffnen?
Auf keinen Fall. Diesen Menschen werden wir keine Plattform bieten. Es ist nicht unsere Aufgabe, den Leuten das Lesen beizubringen. Das Wissen über die deutsche Geschichte und die NS-Zeit ist ja präsent. Wer sich dem verweigert, erhält bei uns keinen Raum.
Rob, Orion und Vinz, Sie plädieren für Demokratie statt Integration. Das kommt für manche Menschen einer Ohrfeige im Hinblick auf das demokratische Selbstverständnis dieses Landes gleich. Steht es so schlecht um die Freiheit des Einzelnen?
Orion: Wenn man in Deutschland von Integration spricht, redet man von einem systematischen Schienenlauf – einer bürokratischen, fast endlosen Zugfahrt von Station zu Station mit Sprachkursen, Nachweisen oder anderen Bescheinigungen. Dieser aus deutscher Sicht sinnvolle Weg nimmt jedoch in keinster Weise Rücksicht auf die Nöte eines jungen Menschen, der in seinem Heimatland beispielsweise wegen der sexuellen Orientierung verfolgt wurde und fliehen musste. Dieses System funktioniert für Menschen, die bereits hier geboren sind, aber nicht für Leute, die aus anderen Kulturen kommen. Mein Verstand sagt mir, ich bin in diesem tollen demokratischen Land, in dem alle gleichberechtigt sind, aber mein Bauch sagt etwas anderes. Ich bin und bleibe hier fremd. Ich darf hier eigentlich nicht ich sein. Es braucht mehr erfahrene Menschen in der Beratung und nicht nur Fachleute, die das Trauma eines Geflüchteten nur aus der Theorie kennen. Ich möchte mich als queerer Mensch nicht ständig für meine Sexualität rechtfertigen müssen und mir anhören, wo ich mir helfen lassen kann.
Elizaveta Khan: Wir sagen ganz klar „Power to the people!“ – auch im Sinne der Selbstorganisation – und erteilen denjenigen eine Absage, die über uns beziehungsweise für uns bestimmen wollen.
Rob: Für mich ist es unglaublich, dass ich meine Identität aufgeben soll, damit ich in dieser Gesellschaft anerkannt werde. Ich müsste meine Individualität eigentlich opfern. Aber das macht ja gerade meine Persönlichkeit, meine Geschichte aus. Wichtig ist dass die Leute sich hier sicher fühlen. Erst, wenn dieses Gefühl da ist, kann man sich integrieren.
Vinz: Mit dem Begriff „Demokratie“ ist ja auch eine Art Zugehörigkeitsgefühl verbunden. Solange ich das nicht fühlen kann, bleibt es nur ein Wort. Ist es denn zu viel verlangt, sich wohlzufühlen? Ich möchte, dass auch meine Stimme etwas zählt.
Was assoziieren Sie mit dem Demokratie Space?
Orion: Wir sind ein Trampolin für Leute, die springen wollen und dann fliegen.
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