Am 13. September finden neben den Kommunalwahlen auch die Wahlen zum Integrationsrat statt. Wahlberechtigt sind im weitesten Sinne alle Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Im Jahr waren das nach Angaben des Statistischen Amtes der Stadt Köln im Jahr 2018 gut 39 Prozent der Stadtbevölkerung. Es gibt Menschen, die wohnen schon seit Jahrzehnten in Deutschland, besitzen jedoch keinen deutschen oder europäischen Pass und dürfen daher hierzulande nicht an politischen Wahlen teilnehmen. Für Menschen mit einem europäischen Pass hingegen gilt, wer drei Monate in Deutschland gewohnt hat, darf an kommunalen Wahlen teilnehmen.
Diese Rechtssituation sei manchmal schwer zu vermitteln, sagt Andreas Vetter, Geschäftsführer des Kölner Integrationsrats: „Wenn jemand schon seit 40 Jahren hier wohnt und trotzdem nicht zu den Kommunalwahlen wählen darf, ist das schon bitter. Für diesen Personenkreis ist die Integrationsratswahl die einzige Möglichkeit überhaupt wählen zu gehen.“
Problem: Geringe Wahlbeteiligung
Viel gravierender ist, dass in den Parlamenten Menschen mit Migrationshintergrund immer noch unterrepräsentiert sind. Die sogenannten „Integrationsräte“, die in Städten und Gemeinden gewählt werden, sind ein Versuch diese Repräsentationslücke zu füllen. Zur anstehenden Wahl kämpfen insgesamt 29 Listen bzw. EinzelberwerberInnen um die 22 Plätze im Kölner Integrationsrat.
Schaut man auf die vergangene Wahl zum Kölner Integrationsrat fiel die Beteiligungsquote dürftig aus – nur um die 15 Prozent aller Wahlberechtigten haben ihre Stimme geltend gemacht.
Eine große Schwierigkeit sieht Geschäftsführer Andreas Vetter darin, die Wahlen überhaupt bekannt zu machen. Es fehle das Geld für größere Kampagnen, weil – anders als bei den Kandidaten der Kommunalwahl – hinter den antretenden Listen und Einzelberwerbern größtenteils keine Parteienapparate stehen. In absoluten Zahlen seien es trotzdem immerhin etwa 35.000 Personen gewesen, die den letzten Integrationsrat mit ihrer Stimme gewählt hätten, fügt Andreas Vetter hinzu.
Politische Teilhabe von Migranten
Der Integrationsrat ist ähnlich wie ein Ausschuss aufgebaut. Er besteht aus den 22 direkt gewählten Kandidaten, sowie 11 Ratsmitgliedern. Er tagt im selben Rhythmus wie die Ausschüsse und ist bei allen migrationsrelevanten Themen vor einer Entscheidung des Stadtrats in beratender Funktion zu beteiligen. Ziel ist es in Form eines regelmäßigen und institutionalisierten Austauschs die Sichtweise von Migranten und Migrantinnen in die Stadtpolitik einfließen zu lassen.
Obgleich in dem Wort „Integrationsrat“, das Wort Integration steckt, ginge es größtenteils weniger um Integration, sondern vor allem um Fragen der Chancengerechtigkeit und der gleichberechtigten Teilhabe von Migranten, so die Wahrnehmung von Andreas Vetter. Die migrantische Community von heute stünde vor ganz anderen Problemen, als die vorherigen Generationen, etwa die sogenannten Gastarbeiter. Damals wären die Zuwanderer froh gewesen in Deutschland überhaupt Arbeiten und Geld verdienen zu können.
„Auf dem Arbeitsmarkt nachrangig behandelt“
Heute ginge es um die tatsächliche Chance auf gleichberechtigte, gesellschaftliche Partizipation, erklärt Andreas Vetter: „Immer wieder müssen junge Menschen, die hier geboren und zur Schule und Uni gegangen sind, erleben, dass sie trotz passender Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt nachrangig behandelt werden. Und zwar nur, weil sie einen ausländisch klingenden Namen besitzen.“
Die Diskussion sei heute mit Sicherheit zugespitzter als damals, so Vetter. Die Bezeichnung „Integrationsrat“ sei daher eigentlich unglücklich: „Wir machen die Erfahrung, dass viele Wahlberechtigte sich zu recht nicht angesprochen fühlen. Die sagen zu uns: ‚Aber ich bin doch schon integriert – warum soll ich so etwas wählen?‘“
Zwar obliegt es dem Kölner Integrationsrat nur in ganz seltenen Fällen abschließend Entscheidungen zu treffen, seine Arbeit bleibt aber trotzdem nicht ohne konkrete Ergebnisse. Ein großer Erfolg der letzten Wahlperiode ist die Einrichtung des „Amts für Integration und Vielfalt“. Mit ihm soll dafür gesorgt werden, dass das Thema Chancengerechtigkeit durchweg auf der Agenda der Stadtverwaltung steht und gefördert wird: „Jede Dienststelle muss dieses Thema künftig auf dem Schirm haben“, findet Vetter.
Auch für die kommende Legislaturperiode stehen große Ziele auf dem Programm. Konkrete Vorhaben sind z.B. die Realisierung des Baus des NSU-Mahnmals an der Keupstraße und die Umsetzung des Beschlusses, mehr herkunftssprachlich-bilinguale Kitagruppen in Köln zu ermöglichen.
„Wir müssen viel mehr zuhören“
Zudem gilt es, den konstruktiven Dialog über die vielfältigen, die migrantische Community betreffenden Themen weiter aufrechtzuerhalten und auszuweiten: „Wir müssen viel mehr zuhören, was die knapp 40% KölnerInnen mit Migrationshintergrund bewegt, und verstehen, was ihre Themen für unsere Stadt sind. Der Integrationsrat ist hier ein sehr gutes Gremium, den regelmäßigen Austausch zwischen RatspolitikerInnen und demokratisch gewählten InteressenvertreterInnen der migrantischen Community zu gewährleisten“, sagt Andreas Vetter.
Und auch die Suche nach einer neuen, zutreffenderen Bezeichnung für den Integrationsrat steht auf der Agenda. Um die Menschen, um die es geht, besser zu erreichen.
Info: www.stadt-koeln.de/leben-in-koeln/soziales/integrationsrat/
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