Erbschleicher hat es schon immer gegeben. Doch früher war das Geschäft mit gewissen Mühen und menschlichen Unwägbarkeiten verbunden. Man musste das Objekt seiner Gier noch zu dessen Lebzeiten umsorgen und von Angesicht zu Angesicht für sich einnehmen. In den heutigen digitalen Zeiten kann man stattdessen auf „db KompassLife 3“ setzen. Mit dem „Death Bond“ der Deutschen Bank wettet man auf den frühen Tod möglichst vieler sogenannter Referenzpersonen. Je schneller und je mehr davon ins Jenseits wandern, desto höher fällt die Rendite aus. Das Geschäft läuft anonym; wie viel Geld am Ende fließt, erschließt sich aus mathematischen Formeln. Natürlich bleibt ein Restrisiko wie bei jedem Glücksspiel. Auch beim Poker bietet man „blind“ auf das eigene Blatt. Man hofft, den eigenen Einsatz richtig zu platzieren, die Taktiken der Mitspieler zu erraten und endlich alle am Tisch bluffen zu können, kurz: ganz so zu dealen wie ein durchschnittlicher Investmentbanker. In den andauernden Finanzkrisen geht es um unvorstellbar hohe Summen, um Schuld und Schulden, Sühne, Vertrauen und Macht. Macht das den wahren Charakter von Geld aus?
Pokern ist übrigens hierzulande seit langem beliebt. Ein ehemaliger Kölner Student der Wirtschaftspsychologie ist sogar aktueller Poker-Weltmeister. Und noch ein Indiz: Seit es das Internet gibt, fahren noch mehr Leute auf das Kartenspiel ab. 10 Prozent der Glücksspiele in Deutschland laufen schon online, Tendenz steigend. Ein Drittel der Online-Umsätze entfällt aufs Pokern, deutlich mehr als auf die berüchtigten Online-Sportwetten. Obwohl gewerbsmäßiges digitales Glücksspiel in Deutschland illegal ist, ist der deutsche Onlinepokermarkt der zweitgrößte der Welt – mit einem Zehntel aller globalen Pokerspieler. Oder: Von 100 deutschen Usern spielt eineR mit. Am virtuellen Spieltisch selbst braucht man in jedem Fall Kreditkarte oder PayPal. Ohne Abbuchung geht gar nichts. Wenn man verliert, verwandeln sich die Spiel- sofort in Bankschulden. Das Minus realisiert sich erst später. Das erleichtert das Zocken. Spiel jetzt, zahl später irgendwann. So hat schon der amerikanische Hypothekenmarkt funktioniert.
Schuldenmachen
Das virtuelle Schuldenmachen liegt sowieso im Trend. Weniger als ein Zehntel der um den Globus flotierenden Geldmenge ist durch Banknoten und Münzgeld „gedeckt“. Das Geld heute ist vor allem digitaler Datenstrom. Entscheidend ist, wie schnell er fließt. Bei Börsenwetten geht es um Zehntelsekunden. Gerade lassen die New Yorker und Londoner Börsen ein neues Überseekabel legen, das beide Metropolen verbindet und die Geschäfte noch einmal beschleunigen soll. Zeitgewinn bei der Übermittlung der Daten: 6 Nanosekunden. Das Kabel kostet 300 Millionen und soll Milliarden Dollar einbringen. Als alltägliches Kontrastprogramm werden an der Supermarkt-Kasse auch schon mal Beiträge von 2,47 Euro per Karte beglichen.
Dabei streiten die Gelehrten seit langem, was denn nun den wahren Charakter des Geldes ausmacht. Einig ist man sich, dass es sich um einen komplexen Begriff handelt. Die Beschreibung, dass „Geld“ alles ist, was in einer Volkswirtschaft beim Tausch als Zahlungsmittel akzeptiert wird, ist wenig befriedigend. Schließlich dienten auch schon Glasperlen, Nylons und Zigaretten als Währung. „Geld“ kann „Wert“ symbolisieren und Vermögen oder „Kapital“ speichern. Seine Ursprünge sind unbekannt und verlieren sich irgendwo „in den Nebelzeiten des schmelzenden Eises“, wie Keynes einmal notiert hat. Jedenfalls scheint es so zu sein, dass es irgendwie im Zusammenhang mit … „Schulden machen“ entstanden ist. Weil jemand von jemandem etwas entliehen hatte, musste er „Zinsen“ zahlen, also „Geld“ beibringen. Das war wiederum „kein Ding“ mehr, wie der Geldtheoretiker und ehemalige Banker B.A. Lietaer schreibt und Kollegen zitiert, die an dieser Stelle gern von „Magie“ sprechen und von Bankiers als „Magiern“, die über geheime Tricks verfügten, die sie niemandem verraten wollten. Auf jeden Fall steht der immaterielle Charakter des Geldes spätestens seit 1971 fest. In diesem Jahr gaben die USA den Goldstandard für den Dollar auf. Der Wert des Scheins wird seitdem nur noch vom Staat garantiert. Das ändert freilich nichts an der andauernden Faszination.
Münzen sammeln
Magie ist seit jeher Teil jeder Form von Religion. Mit ihr verbindet sich stets die Suche nach Antworten auf die ewigen Fragen nach den Quellen von Macht, Sex und Tod, Gott, Verdammnis, Erlösung und Liebe. „Geld ist erstarrtes Begehren“, fasste denn auch James Buchan, einst Redakteur der Financial Times, seine Überlegungen zum Thema zusammen: „Geld“ als Projektionsfläche für Wünsche aller Art und das nicht nur abstrakt. Auch wenn der Trend zum Cyber-Geld unumkehrbar ist, bleibt das Interesse an der „Umlaufmünze“, dem gestalteten Stück Metall oder auch Papier, das im Alltag immer (noch) präsent ist. Die Zahl von Menschen, die Münzen aufbewahren – als historisches Sammelobjekt, als Geldanlage oder einfach als Hobby –, geht nicht zurück. Für manchen Heimatforscher sind die Münzen auch Mittel zum Zweck. Dass der Kölner Pfennig im Mittelalter in Nordwestdeutschland lange fast die einzige umlaufende Münze war, begeistert manchen Kölschen noch heute. Und ach: Es hat auch ganze Völker gegeben, die gar kein Geld entwickeln wollten. Sie schufen sich wie die Polynesier ein System von Verpflichtungen auf Gegenseitigkeit. Es gab zwar Eigentum, aber das wurde ohne Gegenleistung übertragen. Und das Reich der Inka kam sogar ohne Geld und ohne Schrift aus – heutzutage kaum zu glauben, dieses Spiel ohne den Joker.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Viel Arbeit, wenig Widerstand
Der Mittelstand wünscht sich eine fairere Besteuerung, tut aber zu wenig dafür – THEMA 01/16 GERECHT STEUERN
„Autistische Ökonomie“
Der Markt macht einen auf Gott und alle sind dabei – THEMA 11/15 GEMEINWOHL
Der neoliberale Tunnelblick
Samuel Decker vom Netzwerk Plurale Ökonomik über die Beschränktheit der Wirtschaftswissenschaft – Thema 11/15 Gemeinwohl
Geld ist nicht alles
Tauschringe und Zeitbanken als Alternative zur Geldwirtschaft – Thema 11/15 Gemeinwohl
Münzen können sehr teuer sein
Alfred Hahne über Münzensammeln und regionale Geschichte - Thema 03/12 Geld
Immaterielle Werte
Christoph Hellmann über Geld, Zigaretten und Vitrinen - Thema 03/12 Geld
Jahr der Entscheidung
Silke Tober über Geld, Geldmengen, Verschuldung und Krisenrhetorik - Thema 03/12 Geld
Rassismus kostet Wohlstand
Teil 1: Leitartikel – Die Bundesrepublik braucht mehr statt weniger Zuwanderung
Schulenbremse
Teil 2: Leitartikel – Was die Krise des Bildungssystems mit Migration zu tun hat
Zum Schlafen und Essen verdammt
Teil 3: Leitartikel – Deutschlands restriktiver Umgang mit ausländischen Arbeitskräften schadet dem Land
Aus Alt mach Neu
Teil 1: Leitartikel – (Pop-)Kultur als Spiel mit Vergangenheit und Gegenwart
Nostalgie ist kein Zukunftskonzept
Teil 2: Leitartikel – Die Politik Ludwig Erhards taugt nicht, um gegenwärtige Krisen zu bewältigen
Glücklich erinnert
Teil 3: Leitartikel – Wir brauchen Erinnerungen, um gut zu leben und gut zusammenzuleben
Es sind bloß Spiele
Teil 1: Leitartikel – Videospiele können überwältigen. Wir sind ihnen aber nicht ausgeliefert.
Werben fürs Sterben
Teil 2: Leitartikel – Zum Deal zwischen Borussia Dortmund und Rheinmetall
Das Spiel mit der Metapher
Teil 3: Leitartikel – Was uns Brettspiele übers Leben verraten
Demokratischer Bettvorleger
Teil 1: Leitartikel – Warum das EU-Parlament kaum etwas zu sagen hat
Europäische Verheißung
Teil 2: Leitartikel – Auf der Suche nach Europa in Georgien
Paradigmenwechsel oder Papiertiger?
Teil 3: Leitartikel – Das EU-Lieferkettengesetz macht vieles gut. Zweifel bleiben.
Friede den Ozeanen
Teil 1: Leitartikel – Meeresschutz vor dem Durchbruch?
Vom Mythos zur Mülldeponie
Teil 2: Leitartikel – Wie der Mensch das Meer unterwarf
Stimmen des Untergangs
Teil 3: Leitartikel – Allen internationalen Vereinbarungen zum Trotz: Unsere Lebensweise vernichtet Lebensgrundlagen
Zu Staatsfeinden erklärt
Teil 1: Leitartikel – Der Streit über Jugendgewalt ist rassistisch aufgeladen
Der andere Grusel
Teil 2: Leitartikel – Von der rätselhaften Faszination an True Crime
Maßgeschneiderte Hilfe
Teil 3: Leitartikel – Gegen häusliche Gewalt braucht es mehr als politische Programme