Mit der Karriereflucht kann man nicht früh genug beginnen
Foto: Sabrina Didschuneit
„Der Kapitalismus zwingt zur permanenten Unzufriedenheit“
26. Januar 2017
Karriereverweigerer Anselm Lenz wirbt für den lebenslangen Generalstreik – Thema 02/17 Weltflucht
choices: Herr Lenz, Sie bezeichnen sich als Karriereverweigerer. Sind Sie zu faul zu arbeiten? Anselm Lenz: Nein, ich arbeite ausgesprochen viel. Oft weit mehr, als das in einer Festanstellung der Fall wäre. Mit Karriereverweigerung ist grundsätzlich nicht Arbeitsverweigerung gemeint. Karriereverweigerung stellt vielmehr die Frage nach dem Sinn der Arbeit. Es geht nicht um: Ich hab’ kein Bock mehr, oder heute habe ich einen schlechten Tag. Wobei, auch das kann eine gute Idee sein. An einem schlechten Tag die Arbeit einfach mal ruhen lassen; erst morgen weitermachen, wenn ich wieder einen guten Tag habe. Für Hartz-IV-Bearbeiter wäre es vielleicht keine so schlechte Idee, sich mal öfters krankzumelden. Vielleicht würden sie dann die Leute besser behandeln. Bei Haus Bartleby geht es nicht um Arbeitsverweigerung per se. Das Projekt ist nicht gegen die Arbeit als solche gerichtet. Vielmehr geht es um eine Kritik der Arbeit.
Wie kam es zum Karriereverweigerungsnetzwerk Haus Bartleby, das sie gemeinsam mit der Journalistin Alix Faßmann gegründet haben? Zunächst mal ging es Alix Faßmann und mir darum, aus dem eigenen Erleben der Arbeitswelt konsequente Schlussfolgerungen zu ziehen, mit den Mitteln unseres sozial- und kulturwissenschaftlichen Bildungsbackgrounds. Die meisten Akademiker arbeiten ja gar nicht mehr mit dem, was sie eigentlich mal studiert haben. Mit dem Netzwerk Haus Bartleby stellen wir uns die Frage: Wie können wir sinnvoll arbeiten und unter welchen Prämissen machen wir Karriere?
Aber Sie sind doch Karriereverweigerer.
Anselm Lenz
Foto: Rania Moslam
Zur
Person:
Anselm
Lenz (36) studierte Kulturwissenschaften und finanzierte das Studium
als Metallarbeiter. Nach
dem Studium war er Dramaturg am Deutschen Schauspiel Hamburg.
2014 gründete er mit der Journalistin Alix Faßmann in Berlin das
Karriereverweigerungsnetzwerk „Haus Bartleby“. Seit 2015 betreibt
das Netzwerk das Kapitalismustribunal.
Ja, weil Karriere heute ein Verdrängungswettbewerb unter Kollegen ist. Statt solidarisch sein zu können, wird man permanent genötigt, die Ellenbogen einzusetzen und Kollegen raus zu drängen. In einer wachsenden Ökonomie ist das kein so großes Problem. Aber in stagnierenden oder schrumpfenden Ökonomien, muss man sich nach oben arbeiten, weil die Basis unter einem permanent wegbröckelt. Man kann nicht sagen: Ich bin zufrieden auf der Ebene, auf der ich bin. Der Kapitalismus zwingt uns gewissermaßen zur permanenten Unzufriedenheit. Das ist weder für das System gut, noch gesund für den Einzelnen.
Aber es gibt doch solche und solche Karrieren. Sie waren Dramaturg und kein Hedge-Fonds-Manager. Für ein Theater zu arbeiten, ist für sich genommen schon eine Art Karriereverweigerung. So gesehen bekenne ich, dass ich eigentlich von Anfang an Karriereverweigerung betreibe. Seit meinem Teenager-Alter bin ich davon überzeugt, dass ich nicht für den Kapitalismus arbeiten will. Grundsätzlich ist eine Entscheidung für relevante Kulturproduktion und unabhängige Wissenschaft derzeit eine Entscheidung gegen seriöse Bezahlung. Trotzdem setzt auch in so einem System sofort das Karrierestreben ein. Weil die Kulturbetriebe unter dem ständigen Sparedikt schrumpfen, wird die Luft schnell dünner.
In dem Buch „Sag alles ab!“ plädiert Haus Bartleby für den lebenslangen Generalstreik. Was ist damit gemeint? Das ist das anarchistische Plädoyer dafür, die herrschende Form der Ökonomie vollständig hinter sich zu lassen und etwas Besseres zu machen. Wenn man sich einfach vorstellt, wir gehen jetzt alle nicht mehr zur Arbeit – also wirklich niemand mehr – würden die allermeisten trotzdem weitermachen. In ganz vielen Fällen wird das das sein, was man eh schon macht. Und auf einmal wird das, was wir ohnehin schon tun, veredelt: weil es uns zusammenbringt oder uns an Ort und Stelle hält oder einfach nur schön und nutzlos ist; das kann es ja auch sein. Der lebenslange Generealstreik ist möglich und die Pforte in eine Welt ohne Währung, er ist aber auch ein Gedankenspiel das utopisch ist, das Fragen formuliert, die man sich selber stellen kann und die man der Arbeitswelt stellen muss.
Sie sprechen von Utopie. Aber was kommt ganz praktisch dabei heraus? Der kollektive Ausstieg aus dem vorgefundenen Karrieresystem ist natürlich auch weiterhin mit der Notwendigkeit verknüpft, arbeiten zu müssen. Aber gleichzeitig ist der Ausstieg auch damit verknüpft, genug Zeit zu haben, wichtige Dinge zu tun. Wenn wir ehrlich sind, sind wir doch ständig damit beschäftigt, irgendwelche Sachen zu machen, die wir für Quatsch halten, nur um an Geld zu kommen. Für die wirklich wichtigen Dinge bleibt aber immer weniger Zeit. Wir beim Haus Bartleby haben uns eingestanden, dass wir das Gute und Wichtige in unseren Karrieren nicht finden werden. Und so haben wir eine große Sache angestoßen, mit der wir eine pragmatische Lösung finden werden: Das Kapitalismustribunal.
Was ist das Kapitalismustribunal? Ein zivilgesellschaftlicher Gerichtsprozess den wir mit dem Club of Rome und weiteren politischen und gemeinnützigen Organisationen aufgezogen haben. In dem Prozess soll geklärt werden, ob dieses System in dem wir leben und arbeiten müssen und dass wir uns nicht ausgesucht haben, als System betrachtet, ein Verbrechen ist. Viele hundert Menschen aus aller Welt haben Klage eingereicht und berichten von ihren Erlebnissen im Betrieb oder auf dem Amt. Folge des Tribunals, das noch bis September 2018 laufen wird, wird ein neu zu entwickelnder „Verfassungstext der Ökonomie des Menschen“ sein.
Klingt nach einem langen Prozess und viel Arbeit. Machen Sie Karriere mit Karriereverweigerung? Den Vorwurf gab es ja immer. Aber der kam meistens von Karrieristen selbst. Das sind meistens die Leute, die sich gar nicht mehr vorstellen können, dass es anders laufen könnte. Falls die Frage nach der Karriere aber die nach dem Kontostand ist, muss ich sagen, der ist viel schlechter als vorher. Erst recht nach dem Kapitalismustribunal. Dafür haben wir alle Reserven investiert und uns verschuldet. Wir wissen, dass dieses System am Ende ist. Das Geld ist gut angelegt für die Sache der Menschheit.
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Interview: Bernhard Krebs
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