Ein Basar des Hungers und der Gewalt: Pfeifer (Guido Lamprecht), der Majordomus der Weberei, steht wie der bellende Zuchtmeister des Mehrwerts im Bühnenzentrum, während die ausgezehrten Weber bettelnd ihre Ware anbieten. Vom Selbstwertgefühl der Arbeiter ist nichts zu ahnen. In ihren schäbigen T-Shirts erniedrigen sich diese Lemuren der Ausbeutung für jeden Groschen, den Pfeifer aus ihnen herauszupressen versucht. Als Alter Ego der Weber allerdings fungiert ein stummer Bewegungschor, der zwischen wütenden Aufbegehren und leichenhaftem Menschenhaufen die ganze seelische Misere der Weber zum Bild verdichtet.
So wie die T-Shirts in Armin Petras‘ Inszenierung von Gerhart Hauptmanns Klassiker „Die Weber“ den Bezug zu heutigen ausbeuterischen Textilproduktionen herstellen, so fahren brutalistische Geräuschkeile (Musik: Kornelius Heidebrecht) immer wieder als Menetekel der technischen Entwicklung mitten in die Bühnenaktionen. Was heute Industrie 4.0, war damals die Mechanisierung der Webstühle. Doch Armin Petras zerrt Hauptmanns naturalistischen Armutsschocker von 1892, der in seiner anklagend-schreienden Drastik bis heute eigentlich kaum Nachahmer gefunden hat, nicht mutwillig in die Gegenwart. Im Gegenteil. Er belässt dem Stück sein merkwürdiges Kunstschlesisch sowie seine historische Anspielung auf den Weber-Aufstand von 1844, legt aber sehr einfühlsam Infusionszugänge für eine aktuelle Blutzufuhr, die als Bildbeigaben ein Album mit Sammelbildchen deutscher Kapitalismus-Geschichte aufblättern. Während im Hintergrund die Weber in einer erschütternden Prozession ein an Hunger und Schwäche gestorbenes Kind zu Grabe tragen, versammeln sich mit geradezu frivoler 1950er-Jahre-Jovialität der Fabrikant Dreißiger (Ronald Kukulies) und seine Society-gestählte Gattin (Yvon Jansen) samt Honoratioren. Fast klischeehaft wird zum Kaffeeklatsch geladen, werden Zigarren angezündet. Wenn der junge Moritz Jäger (Nikolaus Benda) dagegen vom Militär zurückkehrt, lässt ihn Petras in den Traum einer Hollywood-Karriere abschweifen, während Mutter Baumert ihren Hunger mit einer wilden Rezeptefantasie zu stillen versucht. Jägers konsumistische Mitbringsel werden zu Bachs Choral „Ich habe genug“ verteilt und liefern so einen ironischen Verweis auf Pasolinis filmisches bachgesättigtes Armutsepos „Accattone“.
Dass trotz Konsum nicht nur die sozialen Klassen getrennt bleiben, sondern vermutlich auch ihr jeweiliges Bildgedächtnis, macht auf geniale Weise das Bühnenbild von Olaf Altmann deutlich. Nach hinten wird die Spielfläche von einer gewaltigen rostigen Metallwand abgeschlossen, die als Klagemauer, als Trommel- oder Gefängniswand dienen kann. Nach vorne wird die Bühne durch ein bühnenbreites Gewebe aus horizontalen Seilen abgeschlossen, die an einen Webstuhl, das gesellschaftliche Geflecht oder die soziale Leiter denken lässt. Immer wieder hängen Figuren darin fest, klettern in dem Gewebe herum, wechseln zwischen Vorder- und Hintergrund hin und her wie die Angestellten bei Dreißiger. Je mehr die Wut der Weber wächst, desto tiefer senkt sich die Faden-Wand herab. Mit dem Aufstand und der Erstürmung von Dreißigers Villa jagt der Bewegungschor dann ikonografische Bilder des Aufstands und Protests durch die Wahrnehmung: die nackten Hintern der K1-Kommune, Delacroix‘ „Die Freiheit führt das Volk“, Mauersprung-Fotos. Petras‘ Interpretation spielt auch mit der Frage der Ikonografie und ihrer Nachwirkung: Es bleiben Bilder der Geschichte, die auf einen neuen Bildersturm der Revolution warten. Am Ende setzen sich die Weber goldene Kronen auf. Jeder König steht in seiner eigenen Ackerfurche des Daseins, die die Seile der niedergelegten Wand vorgeben. Von einem Kollektiv fehlt jede Spur. Petras versagt sich weitgehend Momente des Mitfühlens; am nächsten kommen dem noch Ansorges (Ursula Werner) große Klage im zweiten Akt oder die quicksilbrigen Kommentare des Lumpensammlers Hornig (Katharina Schmalenberg). Hauptmanns Stück wird eher zu einem abstrahierenden Denkraum, der anschlussfähig wird für Assoziationen und zeitgenössische Analysen – und gerade deshalb sehenswert ist.
„Die Weber“ | R: Armin Petras | Fr 6.4., Sa 7.4., Di 17.4., Fr 20.4. 19.30 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 221 284 00
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