Mittwoch, 4. Dezember: Über die ungewöhnliche Aktion Ende der 1940er Jahre dürften die Meisten nicht allzu viel wissen. Damals suchte die isländische Regierung mit Hilfe des Bauernverbandes in Deutschland Arbeiter, die sie durch eine Zeitungsannonce in Lübeck zu finden hofften. Rund 300 deutsche Immigranten siedelten 1949 auf den europäischen Inselstaat über, ca. zwei Drittel von ihnen blieben für immer dort. Heike Fink hat sich in ihrer Dokumentation „Eisheimat“ diesen deutschen Auswanderern angenommen, sie in ihrer nordischen Wahlheimat besucht und sie dazu gebracht, vor der Kamera aus ihrem bewegten Leben zu berichten. Eigentlich war geplant, dass zur Vorabpremiere des Films in Köln neben der Filmemacherin auch eine ihrer wichtigsten Protagonistinnen, Ursula Guðmundsson, anwesend sein sollte. Die betagte Dame musste aber leider unmittelbar vor ihrer Abreise nach Deutschland in ein Krankenhaus eingeliefert werden, weswegen sie im Filmforum von ihrer Enkelin Anna-Lena vertreten wurde. Die konnte den zahlreichen Premierengästen dann aber immerhin versichern, dass es ihrer Großmutter wieder besser gehe und dass sie bereits wieder aus dem Krankenhaus entlassen sei.
Moderiert wurde das Filmgespräch nach der Vorführung vom Vorsitzenden der „Deutsch-Isländischen Gesellschaft e.V.“ aus Köln, Dr. Sverrir Schopka. Dieser begrüßte auf dem Podium neben Heike Fink und Anna-Lena auch die Produzentin Juliane Thevissen, die Kamerafrau Birgit Gudjonsdottir und die Komponistin Julia Klomfass. Gemeinsam stellte sich die Expertengruppe den zahlreichen Fragen des interessierten Publikums. Heike Fink erzählte, dass sie 2008 in Island für einen Film über Elfen recherchiert habe und dabei zufällig einer ihrer künftigen Protagonistinnen begegnet sei. Als sie von deren ungewöhnlichem Lebensweg und den zahlreichen anderen deutschen Immigrantinnen erfuhr, entstand die Idee zu „Eisheimat“. Produzentin Thevissen hatte Fink bei der ifs in Köln kennengelernt und war sofort begeistert von ihrem Stoff. Nach ersten Zusagen seien die Finanzierungspartner NDR/arte aber sechs Wochen vor Drehbeginn überraschend wieder abgesprungen. „Ein Verschieben des Drehs war aufgrund des fortgeschrittenen Alters der Damen aber unmöglich, weswegen ich die Lücken in der Finanzierung mit eigenem Geld stopfte“, so Thevissen. Tatsächlich sind mittlerweile schon drei der Protagonisten verstorben, was dieser Entscheidung im Nachhinein Recht gibt.
Sverrir Schopka erläuterte, dass Island 1949 an der Schwelle von der Bauerngesellschaft hin zu einer modernen Gesellschaft gestanden habe. Die deutschen Einwanderer hätten dazu beigetragen, diesen Wandel zu vollziehen. Trotz der doch recht überschaubaren deutschen Gemeinde auf Island hatten sich die Protagonistinnen von „Eisheimat“ vor dem Dreh noch nicht gekannt. Das im Film vorkommende Kaffeekränzchen „haben wir eigens arrangiert, damit sie sich untereinander einmal kennenlernen“, so Heike Fink. Zuvor hatte sie durch eine Vereinigung in Südisland und durch Mundpropaganda eine Liste aller noch lebender deutscher Immigranten zusammengestellt. Nachdem sie jede einzelne Person der Liste brieflich kontaktiert hatte, erhielt Fink lediglich zehn Antworten. Die meisten von ihnen haben es nun in den fertigen Film geschafft, wobei sie diejenigen auswählte, zu denen sie von Anfang an einen besonders guten Zugang herstellen konnte. Juliane Thevissen betonte gegen Ende noch den erfreulichen Umstand, dass am Abend in Köln bei der Projektion wesentlich mehr gelacht worden sei als bei der Filmpremiere 2012 während der Festivalvorführung in Lübeck. „Egal ob geweint oder gelacht wird, beides sind Ausdrucksformen, die belegen, dass das Gezeigte dem Publikum nahe geht – und genau das wollen wir als Filmemacher erreichen!“
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