Niedergerungen von Depressionen verliert eine junge Frau den Halt in einer patriarchalisch geprägten Ordnung, deren Herrscher den Raum einnehmen. Für Frauen ist Platz am Boden vorgesehen. So bewegt sich die Protagonistin in „Die gelbe Tapete“ über weite Strecken im Schmutz auf nacktem Nährboden. Kriechend, robbend, windend, kurzweilig erhebend und wieder niederstürzend markiert sie ihr Terrain. Ihr wohlwollender Mann ist Arzt und weiß, was für die Angetraute das Beste ist. Er verordnet einen Landaufenthalt mit Quartier in einem herunter gekommenen Zimmer, dessen Tapete ihren früheren Glanz verloren hat und sich von der Wand schält. In ihren Schattierungen erkennt die just Mutter Gewordene Figuren, die zu ihr sprechen. Ihrem Flehen, den Ort zu verlassen, wird nicht stattgegeben. Stattdessen diagnostiziert der joviale Hausvorstand eine fortschreitende Genesung und verspeist in Unschuld Äpfel.
Während einer gefühlten Stunde vermag das Ensemble um die einfühlsam agierende Kristin Steffen und dem scheinheilig auftrumpfenden Jörg Ratjen unter der Regie von Sarah Lalisch Dekaden der weiblichen Unterdrückung zu manifestieren. Oftmals in Monologe verstrickt, findet der direkte Austausch vor allem in unterwürfigen Szenen (Überreichung des Mahls, Vertröstung der Verängstigten, ständige Belehrungen) statt. Untermalt von leisen Klängen (Tom Dietrich) und einem seelenleeren Nichts an Bühne (Anna Lachnit), die Anfang wie Ende des bewölkten Nachthimmels offenbart, ziehen beide alleine ihre Runden entlang vorgegebener Eingrenzungen und verschwinden als verliebte Ideen in den Abgründen rechter Winkel. Mit unüberhörbaren Gedankengängen wandert Kristin Steffen durch die Gefilde ihrer Sehnsüchte, die sie in grazile bis vehemente Körpersprache übersetzt, während dem Antagonisten die Rolle des Überwachenden zufällt, der jedwede Regung kühl im Krankheitsprotokoll vermerkt.
Die Stückvorlage von Charlotte Perkins Gilman erschien 1892 und gilt als frühes Werk feministischer Literatur, das Entmündigung und Willensbeugung zugunsten eines entsagungsvollen Frauenbildes beschrieb, welches im 21. Jahrhundert weiterlebt, wenngleich die Fassaden rissiger und das Dotter-Gelb der nährenden Mutter blasser geworden ist. Ob dies als positives Signal im Zuge der Gleichberechtigungsdebatten oder Fanal eines ausblutenden Widerstands gegen die Welt-Dominatoren zu deuten ist, bleibt offen.
Die gelbe Tapete | R.: Sarah Larisch | Di 26.4. 20 Uhr | Schauspiel Köln, Depot 2 | www.schauspiel.koeln.de
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