choices: Frau Kriebel, der Text von Falk Richter ist ein gerade mal elfseitiger Dialog für zwei Figuren. Wie wird daraus ein Theaterabend?
Judith Kriebel: Es gibt von Falk Richters Kurzstück „Deutlich weniger Tote“ eine Hörspielfassung, es ist auch auf der Bühne aufgeführt worden, aber es ist eben nicht abendfüllend. Wir haben uns für Richter entschieden, weil der Text über viele rote Fäden verfügt, weil er sich nicht nur einer Lesart erschließt, sondern ausgesprochen vielschichtig ist. Uns war klar, dass dieser Dialog nur der Anlass sein kann, über etwas zu reden, und dass wir daneben noch Texte aus anderen Zusammenhängen recherchieren müssen.
Was sind das für rote Fäden, die der Text nahelegt?
Das Stück beginnt als vermeintlicher Dialog zwischen zwei sich scheinbar freundlich gesonnenen Figuren. Dann wird daraus ein Rapport zur Weltsicherheitslage, die heruntergebrochen wird auf eine Art Nachbarschaftskonflikt. Es geht um eine Art von Weltpolizei, die sich damit arrangiert hat, dass immer noch ein paar Bomben in der U-Bahn explodieren. Irgendwann wird klar, dass der Berichtende auf einer wesentlich niedrigeren Hierarchiestufe steht und vielleicht sogar selbst einer der Menschen ist, über die er berichtet. Das Ganze ähnelt schließlich einem Verhör, ob der andere noch auf Linie ist. Wir haben den Text konkret auf das Thema Interventionen der Bundeswehr im Ausland bezogen. Wir reflektieren, aus welcher Tradition die Debatten kommen, wie den Bürgern heute der Krieg verkauft wird und dass wir zwar über den 1. und 2. Weltkrieg reden können, aber nur sehr schwer über neue Kriege.
Was macht das Reden so schwierig?
Schwierig macht es die deutsche Vergangenheit, das gebrochene Selbstverständnis, dann die Friedensbewegung aus den 70er und 80er Jahren und dann das Verständnis der Bundeswehr als eine Armee zur Landesverteidigung. Man kann aber heute aufgrund der Komplexität des Themas keine extreme Position mehr einnehmen. Alle an der Produktion Beteiligten sind zwar Ende der 70er Jahre geboren und mit einer selbstverständlichen Ablehnung des Krieges aufgewachsen. Doch die hat sich während der Beschäftigung mit dem Thema verwischt, ohne dass wir die Seiten gewechselt hätten: Wie kann man vertreten, dass Deutschland sich militärisch engagiert, obwohl wir uns einig sind, dass das nicht sein sollte? Andererseits diente die historische Verantwortung für ein „Nie wieder Auschwitz!“ als Begründung für den Kosovokrieg. Kann man sich komplett raushalten, selbst wenn man Mitglied in der Nato ist? Und was ist mit den Wirtschaftsinteressen und der Rüstungsindustrie?
Welche Form wird der Abend haben?
Wir wollten unsere eigene Unentschlossenheit thematisieren und daraus ist dann eine Versuchsanordnung, eine Collage entstanden. Die Basis bildet der Text von Falk Richter, dann haben wir Shakespeare drin, wir benutzen Auszüge aus Schillers „Wallenstein“, dazu literarisches Material von Ernst Jünger, Sarah Kane und Wolfgang Borchert, wir zitieren aus Erlebnisberichten von Soldaten und aus Gesprächen mit Mitgliedern des Verteidigungsausschusses. Dann sind wir in eine Paintball-Halle gegangen, wo man mit Gewehren Farbkugeln aufeinander schießt, wir haben nach Kriegsspielzeug geschaut. Das alles dient uns als Spielmaterial, an dem wir unsere eigene Haltung thematisieren. Wir gehen an dem Abend immer davon aus, dass wir Krieg spielen. Wir können nicht so tun, als ob wir Soldaten im Ausland wären.
Was macht nach Ihrer Sicht einen Krieg sinnvoll und führbar?
Das ist schwierig. Mit den großen Narrativen Gerechtigkeit und Demokratie kommt man heute nicht weiter, das zeigt sich in Afghanistan. Die Tendenz geht, glaube ich, dazu, Tacheles zu reden. Und eine wichtige Frage ist die Machbarkeit eines Krieges hinsichtlich Ausrüstung und Ausbildung der Soldaten. Man ist geneigt, einen Krieg dann für führbar zu halten, wenn es einen Mix gibt: also das Ziel, dass sich in einem Land die Staatsform verändert, plus wirtschaftliche Eigeninteressen plus Machbarkeit.
Gibt es in Deutschland noch eine Haltung, Kriege aus einer idealistischen Haltung heraus führen zu wollen?
Der Idealismus ist nur noch Camouflage für den Pragmatismus. Es wird zunehmend salonfähig, mit mehr Pragmatismus über den Krieg zu reden, auch in der Öffentlichkeit.
Betrifft das auch die Toten?
Die sind immer noch ein schwieriges Thema. Krieg bedeutet eben in erster Linie nicht Überleben, sondern Kämpfen und Sterben. Das darf man aber nicht sagen. Dürfen wir eigentlich von „Gefallenen“ reden, wenn wir uns nur in einem „kriegsähnlichen Zustand“ befinden? Oder befinden wir uns dann im Verteidigungsfall samt allen rechtlichen Konsequenzen? Oder hat es andere Gründe, dass wir nicht vom Krieg reden: zahlen dann etwa die Versicherungen nicht? Es gibt eine ganze Menge Gründe, um diesen Begriff herumzueiern.
Apropos Einbettung der Bundeswehr in die Gesellschaft: Sind die Soldaten nicht meilenweit vom Normalbürger entfernt?
Auf jeden Fall, und das ist aus Sicht der Soldaten auch das Problem. Was sie tun, erscheint ihnen als das Größte, was man für sein Land tun kann, und genau das wird zu Hause kritisch und abschätzig hinterfragt. Andererseits ist die Zahl der Menschenin Deutschland, die in den letzten 20 Jahren in einemAuslandseinsatz waren, inzwischen auf 300 000 angewachsen. Die kommen zurück mit ihren äußeren und inneren Verletzungen, mit ihren Geschichten, die sie in die Gesellschaft tragen. Die Entfernung ist da, aber die Tendenz geht zu einer Normalisierung.
Haben Sie für sich einen Schluss aus der Beschäftigung mit dem Thema gezogen?
Ich kann und will dem Publikum am Ende keine Position entgegenschleudern nach dem Motto: So muss es sein. Es ist ein Diskussionsangebot ans Publikum.
„Deutlich weniger Tote“| Freies Werkstatt Theater | 24.(P)/25./26.1., 14./15./23.2., 20 Uhr | 0221 32 78 17 | fwt-koeln.de
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