Seit den 1950er Jahren plant und baut Köln an seiner U-Bahn. Am4. Dezember 2002 nahmen KVB und Stadt mit der Nord-Süd-Stadtbahn einen neuen Streckenabschnitt in Angriff – ein besonderes Datum, nicht nur, weil es derNamenstag der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute, ist. Seitdem begleiten regelmäßige Pannen den Ausbau. Mal schmälerte die U-Bahn den Musikgenuss in der Philharmonie, mal neigte sich derKirchturm von St. Johann Baptist allmählich dem Untergrund zu. Jetzt wackelt auch noch der Dom, wenn die Linie5 tief unten an ihm vorbeigleitet. Dabei soll er sogar standfester als modernere Gebäude sein.
Bisheriger Tiefpunkt des Projekts ist allerdings der Einsturz des Historischen Archivs am 3. März vor nun fast vier Jahren. In der offiziellen KVB-Bauchronik ist davon nichts zu lesen. Im fraglichen Zeitraum wird lediglich vermeldet: „Die Oberfläche Kreisverkehr Chlodwigplatz ist fertig.“ Dabei war die allgemeine Betroffenheit seinerzeit groß. Zwei Menschen waren gestorben, andere traumatisiert, Wohnhäuser zerstört. Erst in zweiter Linie war der Verlust des Historischen Archivs zu beklagen, auch wenn sich hier die öffentliche Aufmerksamkeit auf Dauer einrichtete. Der damalige OB Fritz Schramma sprach von einem unermesslichen Verlust für „unsere Identität als Kölner, als Deutsche und Europäer“. Immerhin merkte er an, dass vielen weder „Standort noch Existenz des Archivs vor dem Unglück bekannt“ waren. Die Statistischen Jahrbücher der Stadt zum Beispiel wiesen nie die Nutzung des Archivs aus. Obwohl Archiv-Leiterin Bettina Schmidt-Czaia von der Einsturzstelle als einem „Grab unserer Kultur“ sprach, schien gut drei Monate später alles wieder im Lot zu sein. Bleibende Schäden am Archivgut? „Fast alle historischen Fotos und Urkunden sind erhalten geblieben“, vermeldete die dpa unter Berufung auf die Leiterin. Drei Jahre später beklagte der neue OB Jürgen Roters noch immer den „tiefen Bruch im Selbstwertgefühl der Stadt“ und beschwor eine rasche „Wiedergutmachung“. Noch ein Jahr später geht es mit der Wiederaufbereitung des Archivguts nicht so zügig voran, wie es nahegelegt wurde. Dazu variieren die Kosten für die Restaurierung der Bestände und den Bau des neuen Archivs; und die Stiftung Stadtgedächtnis, die einen Teil der Restaurierungskosten von mindestens 400 Millionen Euro organisieren soll, schwächelt.
Planungskapazitäten
Stellen wir uns einmal vor, die Katastrophe auf und unter der Severinstraße hätte nicht stattgefunden. Das Historische Archiv der Stadt – „eines der bedeutendsten Kommunalarchive nördlich der Alpen“ (offizielle Selbsteinschätzung) – plant seine Zukunft. Spätestens seit 2005 sind seine „Lagerkapazitäten“ von 30 Regalkilometernerschöpft, die technischen Standards insgesamt überholt, das ganze Haus sanierungsbedürftig. Seit 2007 sind 10 neue Standorte im Gespräch. Die Kosten des Neubaus werden auf 85 Mio. Euro geschätzt. Nach einigem Hin und Her erfolgt 2012 die Ausschreibung. 2015 soll das neue Archiv eröffnen. Die Baukosten sind von zwischenzeitlich 86 auf 95 Millionen Euro gestiegen. Wegen Anwohnerbeschwerden soll nun auch eine nicht eingeplante Tiefgarage gebaut werden. Damit erhöhen sich die Baukosten auf knapp 100 Mio. Schließlich teilt die Stadtverwaltung mit, dass ihr Rahmenterminplan „von einer Inbetriebnahme des Neubaus von Februar 2017 bis November 2017“ ausgeht. Im neuen Gebäude müssten nun deutlich mehr als 30 Regalkilometer zur Verfügung stehen – schließlich wächst der Bestand trotz Digitalisierung weiter. Nur, was heißt ein „Regal(kilo)meter“? Er bezeichnet nur die horizontale Lagerfläche, Tiefe der Fläche und Höhe des Stauraums werden nicht berücksichtigt. Das relativiert Aussagen über die Staukapazitäten. Man könnte natürlich auch Akten aussortieren, weil sie nicht (mehr) archivwürdig sind. Zwischenfazit: Auch ohne Einsturz lassen die veröffentlichten Daten nur einen bedingten Rückschluss auf die tatsächlichen Archivplanungen zu.
Schadensbegrenzung
Zu den aufgelaufenen 100 Mio. kommt noch einmal mindestens das Vierfache für die mit dem Einsturz verbundenen Restaurierungskosten hinzu (u.a. Mieten für das Restaurierungs- und Digitalisierungszentrum in Porz und das Provisorium am Heumarkt – Lesesaal und Büros, zusätzliche Personalkosten). Offen ist, ob in Köln bis 2017 – dem Bezugsjahr des neuen Gebäudes – überhaupt ausreichende Raumkapazitäten zur Lagerung bereitstehen. Archivleiterin Schmidt-Czaia erklärte jedenfalls, vor einer Rückführung der Konvolute müsse alles gesichtet und geordnet werden, um überhaupt einen Überblick darüber zu gewinnen, welches Archivgut letztlich gerettet worden sei. Realistisch ist damit kein Abschluss der Restaurierung vor 2040. Die Stadtverwaltung hat bereits erklärt, man müsse die Finanzplanung den neuen Verhältnissen anpassen. Und auf Zuwendungen von Land, Bund und Europa hoffen. Denn die Rolle der Stiftung Stadtgedächtnis ist unklar. Ursprünglich sollte sie sich ab 2014 aus eigenen Mitteln tragen. Inzwischen geht man davon aus, dass das „irgendwann“ der Fall sein könnte. Bisher hat sie mehr gekostet als eingebracht. Im neuen Jahr will sie jedenfalls mit der Kampagne „Jedes Stück zählt“ öffentliche Präsenz zeigen und „auf breiter Ebene in den Kölner Medien mit Berichten und Anzeigen, Plakatwänden sowie dem Aufstellen von Spendenboxen zum Mitmachen“ aufrufen.
Nutzerzahlen des Historischen Archivs
Jahr | Anzahl | Anmerkungen |
2000 | 645 | |
2001 | 699 | |
2002 | 711 | |
2003 | 924 | |
2004 | 976 | |
2005 | 1.110 | |
2006 | 976 | |
2007 | 901 | |
2008 | 994 | |
2009 | keine Zahl erhoben | Archiveinsturz |
2010 | ca. 300 | Lesesaal am Standort Heumarkt |
2011 | ca. 300 | Lesesaal am Standort Heumarkt |
2012 | ca. 360 | Lesesaal am Standort Heumarkt und analoger Lesesaal Standort RDZ Porz (hier 60 Nutzer) |
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