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Foto: Jan Schliecker

Eine Armlänge

28. Januar 2016

Phänomenologie eines Körperteils – Theaterleben 02/16

Eine Armlänge hat in der deutschen Geschichte schon des Öfteren eine „tragende“ Rolle gespielt: Der ausgestreckte Arm hat Symbolkraft, ob als Naziidentität stiftender Hitlergruß, als großzügige Geste Angela Merkels – „wir empfangen alle Weltflüchtlinge mit ausgestreckten Armen“ – um sie dann am ausgestreckten Arm wieder verhungern zu lassen, oder eben als guter Ratschlag unserer neuen Oberbürgermeisterin Henriette Reker als Verhaltenskodex für Frauen gegen sexuelle Belästigungen im Karneval durch eben solche Flüchtlinge oder andere böse Männer. Die Stadt Bornheim sagte jüngst mit ausgestrecktem Arm „Stopp“ und verhängte ein Badeverbot für Flüchtlinge in ihren öffentlichen Bädern. Mehr Irrungen und Wirrungen gab‘s nie – der Kölner setzt dem im Februar mit ausladender Geste sein Kulturgut entgegen: „Kölle Alaaf! Denn mir sin kölsche Mädcher / Hann Spetzebötzjer an / Mir lossen uns nit dran fummele / Mir lossen keiner dran.“ Doch das war einmal.

Diesmal haben das kölsche Lebensgefühl und die Kölner Kultur schweren Schaden erlitten: Ob beim Archiveinsturz mit zwei Todesopfern, dem Debakel bei der Bühnensanierung, dem Stimmzettelbetrug durch Falschauszählung, den Hogesa-Krawallen oder dem Attentat auf die Oberbürgermeisterkandidatin einen Tag vor der Wahl durch einen mutmaßlichen V-Mann des Verfassungsschutzes – das Kölner Gemüt zeigte sich relativ immun gegenüber der die eigene Selbstgewissheit störenden Realität. Nach dem internationalen Sex-Mob an Sylvester vor prächtiger Domkulisse inklusive beeindruckender Pyro-Effekte, einer polizeilichen Erfolgsmeldung zur Silvesternacht nach kompletter Abwesenheit, die von den Verantwortlichen entweder Tage vorher oder unter schwerem Drogeneinfluss verfasst wurde, einer ins Koma verfallenen und abgetauchten Landesmutter Hannelore Kraft und öffentlich-rechtlichen Medien, die erst die Windrichtung der politischen Stimmungslage am Fähnchen ablesen, bevor sie ehrlich berichten, aufklären und eigenständig kommentieren, ist nun Schluss mit lustig – auch in Köln. Das ist nicht lustig und wird auch alles so schnell nicht wieder von alleine „jot“.

Vielmehr legen hier ca. 1000 „Gäste“ bei einer Party viele verdeckte Schwächen dieser Gesellschaft mit einer konzertierten Aktion offen: Das Entstehen von rechtsfreien Räumen durch die radikalen Sparmaßnahmen bei der inneren Sicherheit. Leider kann man diese Aufgabe nicht (mehr) an die Amerikaner delegieren. Den zunehmenden Werteverfall durch die stiefmütterliche Pflege von Bildung und Kultur. Hier pauken einen die Sonntagsreden, Preisverleihungen oder Förderplacebos auch nicht raus. Das Auseinanderdriften der Gesellschaft durch ökonomische Ungerechtigkeiten und sich immer deutlicher herausbildende Parallelgesellschaften. Nein, dass diese unterschiedlichen kulturellen Milieus untereinander noch keinen Bürgerkrieg führen, ist noch kein Zeichen für gelungene Integration.

So, und nun lasst uns gegen alle Anfeindungen und gegen den Verstand ausgelassen „fastelovend fiere“ und dann kölsche Selbstgewissheit, Klüngel und Eigeninteressen beiseite legen und diese Stadt und unsere Gesellschaft neu denken, denn so ist Kölle kein „Jeföhl“, sondern reinster Horror.

Jörg Fürst

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