Die Berichterstattung über den Bürgerkrieg in Syrien zeigt in den deutschen Medien gerade nach dem Ausbruch der Konflikte in der Ukraine Ermüdungserscheinungen. Das bedeutet leider nicht, dass sich etwas gebessert hätte. Beim Informationsabend der Journalistinnen und Syrien-Expertinnen Martina Sabra und Larissa Bender am 5. September im Ehrenfelder Allerweltshaus fiel daher auch wenig Lob für die traditionellen Nachrichtenmedien ab. Stattdessen machten sie mit aktuellen Zahlen, persönlichen Erfahrungen, Texten, Bildern und Gästen auf die Probleme aufmerksam, mit denen sowohl die syrische Bevölkerung der betroffenen Regionen als auch die Flüchtlinge zu kämpfen haben. Schnell wurde das unangenehme Gefühl bestätigt, dass eigentlich schon lange mehr getan werden müsste.
Ein Blick zurück ins Jahr 2011 führte noch einmal die Natur des Konfliktes vor Augen: Ein Video zeigte eine friedliche Demonstration, die durch einen plötzlichen Mörserangriff gewaltsam beendet wurde. Heute gibt es solche Demonstrationen wohl nicht mehr, und alle, die offen für politische Reformen eingetreten sind, sind in Lebensgefahr, haben das Land verlassen oder sind bereits tot. Journalisten, die es in der Anfangszeit noch ins Land schafften, kommen nicht mehr über die Grenze, und die internationale Öffentlichkeit ist auf Informationen aus zweiter Hand angewiesen. Syrische Flüchtlinge – Bender las aus einem Roman eines Flüchtlings vor – klagen darüber, dass die Medien das verlogene Bild der syrischen Regierung weiterverbreiten. Die Referentinnen monierten, dass die Nachrichtensendungen und Zeitungen in aller Regel widersprüchliche Informationen gleichwertig gegenüberstellten und eine oft durchaus mögliche Überprüfung oder Bewertung nicht leisteten. Finanziell sehe es in den Redaktionen des Leitmediums Fernsehen heute offenbar düster aus.
Dennoch gebe es laut Larissa Bender Möglichkeiten, sich zu informieren, und auch durchaus stark engagierte Journalisten wie Kurt Pelda und Carsten Stormer. Über das Internet verbreitete Bilder und Videos von syrischen „Bürgerjournalisten“ und Aktivisten seien mangels unabhängiger Berichterstattung als potentielle Informationsquellen unverzichtbar, wenn sie auch teilweise durch drastische Bilder und emotionsvolle Gestaltung abschreckend wirken könnten. Zu wenig bekannt sei etwa, dass die Regierungstruppen gezielt medizinische Einrichtungen zerstört hätten und neben den 200.000 Kriegsopfern viele Menschen an behandelbaren Krankheiten stürben. Zu den Verletzten kämen wiederum unzählige Traumatisierte.
Ein eingeladener Flüchtling, Jabbar Abdullah, der in Syrien gerade sein Archäologiestudium beendet hatte, als in Darʿā und Homs die Proteste begannen, schilderte in von Bender übersetztem Arabisch seine Erlebnisse in Syrien und bei der anschließenden Flucht, die ihn nach etwa einem Jahr schließlich nach Köln brachte. Hier ginge es ihm gut, die Zustände in den Flüchtlingslagern außerhalb und in den Randzonen Europas beschrieb er allerdings als kaum erträglich. Frau Sabra nannte die UN-Flüchtlingsagentur (UNHCR) stark unterfinanziert. Auch über die extrem hohen Kosten einer Flucht nach Europa – gern mal 20.000 Euro – sind sich wahrscheinlich viele nicht im Klaren. Renate Schüler von der Kölner Syrienhilfe, die bis 1980 in Syrien lebte und mit ihrem Netzwerk den in Köln angekommenen Syrern helfen will, erklärte, dass die Erstunterbringung in der Herkulesstraße (die ehemaligen Büros der Kfz-Zulassungsstelle) in vielen Bereichen schlecht organisiert gewesen wäre und sie daher zunächst versucht habe, im Bekanntenkreis vergessene Dinge wie Handtücher zu organisieren. Sie war sich mit Frau Bender einig, dass es leider sehr viel zu tun gebe und man auch Dolmetscher brauche, die die neuen Nachbarn etwa bei der auf lange Sicht notwendigen Arbeits- und Wohnungssuche unterstützen könnten. Außerdem fehle eine Deutschförderung vor dem ersten Schulunterricht. Die Gäste stellten sich alle für potentielle Mithelfer als Ansprechpartner zur Verfügung.
Eines, was der Abend zum Vorschein brachte, war, dass die wenig bekannten Probleme der Flüchtlinge für uns schwer vorstellbar sind. Sabra und Bender führten aus, was die Probleme im Einzelnen konkret bedeuten können. Den Schätzungen zufolge hat etwa die Hälfte der Bevölkerung die Flucht ergriffen und lebt nun entweder „vertrieben“ im Inland oder hat sich ins Ausland begeben, wo die Gruppen und Individuen oft unter schwierigsten Umständen zurechtkommen müssen. Gerade die Syrien umgebenden Länder, die alle kein Asylrecht kennen, böten kaum Möglichkeiten zu einer menschenwürdigen Existenz. Anders als die Fernsehbilder der Flüchtlingslager es suggerieren, seien die weitaus meisten Flüchtlinge in den Städten untergekommen, wo sie auf engstem Raum fast besitzlos zusammenleben würden und versuchten, ausreichend Geld zu verdienen, ohne eine Arbeitserlaubnis zu haben. Soziale Konflikte und Hunger seien die Folgen, von denen nach Einschätzung der Referentinnen in naher Zukunft noch viel mehr zu hören sein werde. Ein Blick in die von der UN veröffentlichten Zahlen zeigt, dass in Libanon auf fünf Libanesen etwa ein (angemeldeter) Flüchtling kommt. Die Zahl der von der Bundesregierung zugelassenen Kontingentflüchtlinge (derzeit 20.000) sei viel zu niedrig angesetzt; dazu seien in Europa etwa 130.000 Asylanträge eingegangen, deren Direktgenehmigung von Organisationen wie Pro Asyl gefordert werde.
Dies sind freilich nur einige der Dinge, die es in den zweieinhalb Stunden im großen Hinterraum des Allerweltshauses zu sehen und hören gab. Interessante Wortmeldungen der etwa 30 Besucher, darunter Studenten, Ausländer und ein Dokumentarfilmer, schienen bei verschiedenen Sichtweisen auf große Einigkeit hinzudeuten. Renate Schüler brachte ein, dass sie seit ihrer Rückkehr nach Deutschland vor 34 Jahren im Fernsehen ständig das Wort Islam mit Bildern von Betenden verknüpft sehe und sie diese reduzierte Sichtweise immer wieder ärgere. Nach der Abschlussdiskussion spielten die beiden musikalischen Gäste Khater Dawa und Majd Alhamwi ein letztes Stück, das wie ein auf innerer Widerstandskraft ruhendes Klagelied wirkte. Sabra und Bender, die durch einen informativen und von Gästen mit Leben erfüllten Abend führten, wollen weiterhin auf die Lage der Syrer aufmerksam machen und fühlten sich von der Resonanz ermutigt.
Weitere Infos: Syrien-Informationsseite ACAPS-SNAP | Kölner Flüchtlingsrat
Facebook-Gruppe „Kölner Syrienhilfe“
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